© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Tornados in Afganistan
Kampf um das Völkerrecht
Dieter Stein

Das Gewissen ist innerhalb des Reichstages nur noch ähnlich häufig zu finden wie geistreiche, gebildete und rhetorisch beschlagene Abgeordnete. So viel Leidenschaft, so viel Streit um Ideale des Parlamentarismus, des Rechts und der Nation haben die Mauern dieses Hohen Hauses erlebt. War die Frage über Krieg und Frieden einmal die schwierigste und öffentlich am ehrfürchtigsten verhandelte, so diskutieren Politiker und Journalisten heute tiefschürfender über das Verbot des Rauchens in öffentlichen Räumen als über das des Angriffskrieges durch das Grundgesetz.

Nicht anders ist zu erklären, wie mittlerweile die Anträge der Bundesregierung auf Kampfeinsätze der Bundeswehr das deutsche Parlament wie am Fließband passieren. Völkerrecht ist ein Thema, mit dem kaum noch jemand hinter dem Ofen hervorzulocken ist. Zwar ist kaum ein Boden dieses Planeten so vom Blut zahlloser Kriege getränkt wie der mitteleuropäische, zwar hat aus existentiellen Gründen kaum ein anderes Volk die Notwendigkeit der Hegung des Krieges und die Begründung des Völkerrechts philosophisch tiefer ergründet als das deutsche, um dann doch 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von historischer Amnesie befallen zu sein. So winkte der Deutsche Bundestag mit gelangweilter Routine am vergangenen Mittwoch den Einsatz von deutschen Tornado-Kampfflugzeugen fast kommentarlos durch.

Lediglich zwei Abgeordnete, Willy Wimmer (CDU) und Peter Gauweiler (CSU), die ihre Stimme schon hellsichtig gegen den US-Angriff auf den Irak erhoben hatten, warnten in einem Appell vor diesem Einsatz, der die Kompetenzen des Nato-Vertrages überschreite und die von den "USA vorangetriebenen Fortentwicklung des Völkerrechts" befördere, das als "Präventivschläge" verbrämte Angriffskriege legitimieren solle. Daß dieser Appell (siehe Dokumentation auf Seite 7) nur zu Protokoll genommen und im Parlament nicht diskutiert wurde, ist ein Beleg für die intellektuelle Armseligkeit, von der der Bundestag inzwischen beherrscht wird.

Kein Text der politischen Philosophie ist so oft mißverstanden und mißinterpretiert worden wie "Der Begriff des Politischen" von Carl Schmitt. Dabei war es nicht eine perverse Lust an Feindschaft und Krieg, die Schmitt hier die Feder geführt hatte, sondern die Sorge, daß aus Mangel an begrifflicher Schärfe das Bewußtsein abhanden kommt für politische Interessengegensätze und die Gefahr eines "endgültig letzten Krieges der Menschheit" mit dem Willen zur totalen Vernichtung. Die von Schmitt geforderte begriffliche Schärfe fehlt mehr denn je.

Es ist kennzeichnend für die Ausweitung des Krieges, daß dieser immer häufiger hinter Orwellschen Nebelwänden verborgen wird: Es ist von "Polizeieinsätzen", "friedenssichernden Maßnahmen", "humanitären Missionen", "robustem Mandat" die Rede. Hysterisch reagierte Verteidigungsminister Jung deshalb auf den Vorhalt, die Tornados erhielten einen "Kampfauftrag". Nein, sie sollten nur "aufklären".

Es wäre konsequent, wenn Wimmer und Gauweiler das Bundesverfassungsgericht anriefen, um klären zu lassen, ob der von der Bundesregierung geforderte und vom Bundestag beschlossene Tornadoeinsatz völkerrechtswidrig ist.


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