© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Der Schweizer „Blick“ besetzt sein Reizthema: Ängste vor Invasion aus dem Norden
Keine Angst, liebe Deutsche
Curd-Torsten Weick

Hochdeutsch sprechen, damit Sie in Zürich ein Bier bestellen können? Auf den Straßen meist nur schwarz-rot-goldene Fahnen nach einem Fußball-Match? Wenn Sie davon die Schnauze voll haben, sind Sie hier am richtigen Ort.“ Harte Worte, die das Schweizer Boulevardblatt Blick da eine Woche lang als Aufmacherthema fuhr und dramatisch fragte: „Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz?“ Ja wie viele? Fest steht, die Deutschen haben die Schweiz als Auswanderungsland entdeckt. Doch sie kommen nicht als Freizeit-Touristen, sondern als hochqualifizierte, von Schweizer Arbeitgebern gesuchte Fachkräfte.

Die Zahlen sprechen für sich. Im Jahr 2006 sind mehr Deutsche ins Land gezogen als je zuvor. Knapp 25.000 Deutsche „zügelten“ in die Schweiz, ein Viertel mehr als im Jahr zuvor. Und auch 2005 war schon ein Rekordjahr. Insgesamt leben nun 173.000 Deutsche in den Kantonen – weniger als die Italiener (291.000), aber schon mehr als die 74.000 Türken. Doch während die Italiener seit Jahren mehr aus- denn einwandern, kommen die Deutschen in scheinbar solchen Massen, daß sie, so der Blick, zu einem der „brennendsten Schweizer Themen dieser Tage“ geworden sind.

Schweizer Statistiker bestätigen: Erstmals seit den siebziger Jahren, als die Italiener kamen, wanderten aus einem einzigen Land so viele Menschen ein wie jüngst aus Deutschland. Kein Wunder also, daß Blick die Deutschen zum Reizthema erklärt und Auflagensteigerung erhofft. „Tonangebend und meinungsmachend, seriös und kompetent“ (Blick-Selbstdefinition) zieht man in den Kampf um die Leser.

Aber „keine Angst, liebe Deutsche, unsere Serie wird keine Kampagne gegen euch“, erklärte der stellvertretende „Chefredaktor“ Rolf Cavalli beschwichtigend. Doch es müsse nun mal „auf den Tisch“: „Nehmen Deutsche den Schweizern die Jobs weg? Drücken sie die Löhne?“

Dazu präsentierte man die große Blick-Umfrage, und die zeigte wesentliches: Fast zwei Drittel aller Eidgenossen sind der Ansicht, daß die Deutschen für die Schweizer Wirtschaft wichtig sind. Aber immerhin 36 Prozent der Schweizer glauben, daß die Deutschen den Schweizern Jobs wegnehmen. 45 Prozent meinen, daß die Deutschen die Löhne drücken. Alles nicht so schlimm, beschwichtigt Thomas Daum, Direktor des Arbeitgeberverbandes. Viele Firmen fänden für offene Stellen kaum noch geeignete Schweizer. Die Zuwanderung sei „also absolut positiv für Wachstum und Beschäftigung“. Und die Löhne? Ein allgemeiner Lohndruck, so Serge Gaillard, Direktor für Arbeit beim Bund, sei „bisher nicht festzustellen“.

Nichtsdestrotz sorgte der Blick für Zündstoff und Hunderte von Stellungnahmen bestätigten Vorurteile über arrogante Deutsche und gemütliche Schweizer, die sich vor dem Verlust des Schwiizertüütschen fürchten. Aber der Großteil sieht das Reizthema, so wie es ist – medial instrumentalisiert. „In der Realität leben Deutsche und Schweizer friedlich miteinander“, meint Oliver, und Beat findet es „traurig, wenn wir Schweizer uns Sorgen machen um die Deutschen. Ich denke, es gibt wichtigere Integrationsprobleme als zwischen ähnlichen Ländern. Die Deutschen bemühen sich wohl mehr, sich zu integrieren, als andere Erdenbürger, die in der Schweiz weilen.“

Foto: Das auflagenstarke Schweizer Boulevardblatt „Blick“: Nach Eigenangabe „tonangebend und meinungsmachend, seriös und kompetent“


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