© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Die kupierte Achse
Eine Engländerin begibt sich auf Spurensuche an der Strecke der früheren Reichsstraße 1 von Aachen nach Königsberg
Peter Lebitsch

Vor vielen Jahren“ entdeckte die Engländerin Patricia Clough bei Aachen ein bemerkenswertes Straßenschild: „Königsberg 1000 km“. Vertriebene, „entwurzelt und heimwehkrank“, hatten Anfang der 1960er Jahre diese Tafel aufstellen lassen.

Dort begann früher die „Reichsstraße 1“. Sie verlief über Berlin nach Königsberg und erhielt 1932 ihren Namen. Manche westlichen Teilstrecken gehen auf römische Ursprünge zurück. Clough hatte eine pfiffige Idee und folgte der Straße in deutsche Seelentiefen. Allerdings scheitert das Buch manchmal an Klippen der „political correctness“. Oft ist die ehemalige Hauptverkehrsader schwer zu identifizieren. Autobahnen und Fußgängerzonen haben sie „entlastet“.

Otto I. ließ sich 936 in Aachen krönen, reiste gen Osten und christianisierte Slawen und Ungarn. 1843 betrat Heinrich Heine, der aus Paris kam, preußischen Boden. „Douaniers“ filzten ihn. Nun verblasse die Grenze, und Deutschland „geht in supranationaler Gemeinschaft auf“. Das Rheinland, seit 1815 preußische Provinz, stöhnte unter der Zensur. Lange ermöglichte der Karneval, den die Obrigkeit mißtrauisch beäugte, politische Kritik. Napoleon hatte Faschingsumzüge ganz verboten.

Die „Stille und Ordentlichkeit deutscher Wohngegenden“ entspreche der sittsamen deutschen Politik. Helmut Kohl genoß wegen seiner „Behäbigkeit“ große Popularität, stellt die Autorin fest. Auch sie beugt sich jedoch durchgängig in Bewertung und Kommentar der Obrigkeit – zumindest der eines auf Konformismus abgerichteten Zeitgeistes. In der westfälischen Senne-Landschaft fanden vor 1918 „Kaisermanöver“ statt. Am gleichen Ort nahm Elisabeth II. Paraden der britischen „Rheinarmee“ ab. Wegen „späterer Geschehnisse“ sei das Hermannsdenkmal „anachronistisch und leicht peinlich“. Ähnlich klischeehaft ist ihre These, wonach „die Deutschen“ den Wald „mystisch“ verehren. Auf Tatsachen basiere das Märchen vom „Rattenfänger“ zu Hameln: „Lokatoren“ gewannen im späten 13. Jahrhundert junge Erwachsene für die Ostsiedlung.

Viele ehemalige DDR-Grenzer leben heute noch unweit Marienborn, darunter Bernd Richter, der „Zwölf-Stunden-Dienste, Wochenenddienste und dreißig bis fünfzig unbezahlte Überstunden pro Monat“ verrichten mußte. An die Reichspost Thurn und Taxis erinnern Meilensteine. Preußen schuf 1867 ein gesamtdeutsches Postwesen. Magdeburgs „sehr schöne Altstadt“ wurde 1944 zerstört und während der SED-Diktatur durch „seelenlose Plattenbauten“ ersetzt. Nahe Potsdam besuchte Clough die Linde, wo Ferdinand Schill am 28. April 1809 gegen die Fremdherrschaft agitierte – „peinlich“ und „anachronistisch“?

Östlich von Berlin verläuft die R 1 als „ziemlich ruhige, zweispurige, baumbestandene Allee“. Hart wurde im April 1945 bei den Seelower Höhen gekämpft. Darf man der deutschen Soldaten, die damals starben, gedenken? Meistens fehle den Deutschen die „natürliche, gesunde Zuneigung zum eigenen Land. Jemand von außen kann die Deutschen um ihr schwieriges Verhältnis zu ihrem Vaterland nicht beneiden“.

Nach vielen hundert Kilometern jenseits der Oder über Landsberg an der Warthe, Schneidemühl, Konitz und Dirschau blieb auch im „Kreuzritterland“ Ostpreußen die „wunderschöne“ Reichsstraße erhalten. Clough sucht nach Spuren der Vergangenheit und meint, daß hier „die deutsche Kultur endgültig ausgelöscht ist“. Dieser unhistorischen Behauptung muß man allerdings nicht unbedingt zustimmen

Patricia Clough: Aachen–Berlin–Königsberg. Eine Zeitreise entlang der alten Reichsstraße 1, DVA, München 2007, gebunden, 217 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro


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