© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Versuchung
Karl Heinzen

Öl für Besen“ lautet der Spitzname eines Kooperationsabkommens, das die britische Hauptstadt London unter ihrem Bürgermeister Ken Livingstone mit der venezolanischen Regierung geschlossen hat. Ihm zufolge räumt die staatliche Ölgesellschaft des südamerikanischen Landes der Metropole im fernen Europa auf Treibstofflieferungen einen Rabatt von 20 Prozent ein. Im Gegenzug entsendet die Londoner Verwaltung Beamte in die Hauptstadt Venezuelas, um die Kollegen vor Ort insbesondere auf den Gebieten Straßenreinigung, Müllentsorgung und Transportwesen zu beraten. Livingstone hofft, daß sein kommunaler Haushalt dadurch um jährlich 24 Millionen Euro entlastet werden kann. Diese Einsparung will er an die Armen der Stadt weitergeben. Ihnen soll die Nutzung von Bussen in Zukunft zum halben Preis möglich sein.

Medien behaupten, daß ähnliche Offerten Venezuelas an Großstädte in anderen Ländern ergangen sind. Nicht auszuschließen ist, daß angesichts einer ausweglosen Haushaltslage nun auch deutsche Gebietskörperschaften auf die Idee verfallen, sich als Partner anzudienen. Nicht zuletzt das Land Berlin könnte dieser Versuchung erliegen, zumal seine Regierung hinsichtlich Ausrichtung und Stil durchaus Übereinstimmungen mit dem bolivarischen Sozialismus von Hugo Chávez aufweist. Anders als London vermag die deutsche Hauptstadt zwar nicht mit Beratungskompetenz in Sachen „good governance“ aufzuwarten. Sie könnte den Venezolanern aber als Gegenleistung so manche Theater oder Museen überlassen, deren fortwährende Subventionierung auf diese Weise für die Steuerzahler wieder nachvollziehbar würde.

Begrüßenswert wäre eine derartige Zusammenarbeit dennoch nicht. Ein Regime, daß keine Gelegenheit ungenutzt läßt, den Führungsanspruch Washingtons für den amerikanischen Doppelkontinent zu bestreiten, würde unnötig aufgewertet. Vor allem aber ließe man außer acht, daß angesichts der sich abzeichnenden Klimakatastrophe längst nicht mehr jede globale Partnerschaft automatisch zu befürworten ist. Man muß vielmehr in jedem Einzelfall die ökologische Bilanz ziehen, und diese fällt hier eindeutig negativ aus: Es ist heute nicht zu verantworten, daß Vertreter von Kommunen ohne zwingenden Grund in der Welt herumreisen, und eine Verbilligung von Treibstoff forciert einen sorgloseren Umgang mit diesem Klimakiller. Auch Ken Livingstone sollte seine Armen lieber erziehen, anstatt sie zu verwöhnen. Ihnen und der Umwelt wäre besser gedient, wenn sie auf das Fahrrad umstiegen, statt noch mehr Bus zu fahren.


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