© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Putins liberales Feigenblatt
Rußland: Der Auftritt des Menschenrechtsbeauftragten Lukin im Berliner Abgeordnetenhaus hat das Publikum peinlich berührt
Christian Dorn

Wenn es der Versuch gewesen sein sollte, die Tradition des politischen Aschermittwochs bis in den Preußischen Landtag auszudehnen, so konnte er nur als schlechter Scherz verbucht werden: der Auftritt Wladimir Lukins, der von Präsident Wladimir Putin im Jahr 2004 zum Beauftragten für Menschenrechtsfragen der Russischen Föderation ernannt worden ist. Unmittelbar nach seiner Ernennung hatte man den früheren russischen Botschafter in den USA gefragt, ob er fortan die Konfrontation oder den Kompromiß mit den Machthabern suchen werde. Lukin hatte sich darauf in einen Witz geflüchtet, der wohl für Rußlands moralische und rechtliche Verfaßtheit Bände spricht: „Einer sagt, warum streitest du dich immer mit deiner Frau? Sei einfach zärtlich zu dem Miststück!“

Desertation, Sklavenarbeit und Kameradenschinderei

Wie sich herausstellte, sollte es ebendieses Niveau sein, auf dem der 69jährige Vizechef und Mitbegründer der sozialliberalen Partei Jabloko vorige Woche seiner Zuhörerschaft im Raum 376 des Berliner Abgeordnetenhauses begegnete. Eingeladen vom CDU-Abgeordneten Uwe Lehmann-Brauns und dem Deutsch-Russischen Forum, referierte Lukin offiziell zum Thema „Quo vadis? Rußlands Bürgergesellschaft unter Präsident Putin“. Was jedoch folgte, war eine gewundene Rede, die oftmals auswich, umschrieb oder kokettierte. Um die Benennung der eigentlichen Mißstände, so hat man den Eindruck, möchte sich der Menschenrechtsbeauftragte möglichst herummogeln. Um so grotesker wirkt sein Herumfuchteln mit dem aktuellen, von ihm verfaßten Jahresbericht 2006 zur Lage der Menschenrechte, über den er aber – mit der diebischen Freude eines Rumpelstilzchens – ja noch nichts erzählen könne, weil er ihn erst Putin zu Autorisierung vorlegen müsse. Dieser Verweis scheint nicht zufällig: Der ganze Auftritt Lukins wirkt wie ein pseudo-selbstkritischer Vortrag aus Putins Vorzimmer.

Immer enger werdende Presse- und Meinungsfreiheit, die Einschränkung der Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bis hin zu deren Verbot oder die Kriegsgreuel in Tschetschenien kommen so gut wie gar nicht vor. Wenn doch, ist es eine zwischen Lakonie und Larmoyanz herumdrucksende Witzelei, wenn etwa Lukin sagt: „Wir haben sicherlich keine Pressefreiheit in Rußland, aber ich werde mit Sicherheit auch nicht sagen, daß wir definitiv kein freies Wort haben.“

Auch das jährlich Tausende von Todesopfern fordernde Kastensystem der russischen Armee wurde nicht angesprochen. Laut Informationen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) gibt es kaum eine Militäreinheit in Rußland, die nicht von Desertion, Sklavenarbeit und Kameradenschinderei gekennzeichnet wäre. Die „Dedowschtschina“, die Herrschaft der Älterdienenden über die Jüngeren, bestehe auch im Jahr 16 nach dem Ende der Sowjetunion weiter. Das russische Verteidigungsministerium gab im Januar bekannt, daß voriges Jahr etwa 1.200 Soldaten ums Leben gekommen sind – das seien zweimal weniger als 2005. Das Komitee der Soldatenmütter Rußlands bezweifelt diese Zahlen: Würde man diejenigen berücksichtigen, die in den Sondertruppen anderer Behörden ums Leben kamen, wäre die Zahl doppelt so hoch.

Rußland ist zu groß für ein verbindliches Rechtssystem

Lukin redete viel, sagt aber nahezu nichts – oder etwas, was ihn selbst vor der russophil dominierten Versammlung lächerlich macht. Sei es, daß er den Vorwurf nicht vorhandener Pressefreiheit in Rußland durch den Vergleich mit dem kommunistischen Nordkorea entkräften will, oder wenn er allen Ernstes behauptet, daß beim Verfahren gegen den „Oligarchen“ Michail Chodorkowski, den einstigen Chef des Ölkonzerns Yukos, keine Rechtsverletzungen nachgewiesen wurden.

Als er daraufhin mit dem von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vorgelegten EU-Bericht konfrontiert wird, der minutiös sämtliche Verfahrensmängel des „Steuerhinterziehungsprozesses“ auflistet, äußert er mit erstaunter Unschuldsmiene, noch nie davon gehört zu haben. Jetzt schüttelten selbst die gutwilligen Rußland-Freunde im Saal verständnislos ihre Köpfe.

Dazu beigetragen hat wohl auch der Witz, mit dem Lukin seine Ausführungen schließt und der – angesichts der ermordeten Politiker und Journalisten Rußlands – nur noch zynisch erscheint: Erzählt wird von drei Toten in einem Leichenschauhaus, die alle mit glücklichem Gesichtsausdruck gestorben seien. Der letzte von diesen ist ein Politiker. Auf die Frage, warum dieser so freudestrahlend dreinblicke, heißt es, er habe – als ihn ein Kugelblitz heimsuchte – geglaubt, endlich mal Besuch von der Presse zu bekommen.

Der um Deutlichkeit nicht verlegene frühere DDR-Bürgerrechtler Ekkehard Maaß, Vorsitzender der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft, wirft Lukin daraufhin vor, sein Vortrag sei dem angekündigten Thema nicht angemessen gewesen. Unter anderem konfrontierte er Lukin mit einem Widerspruch: Dieser verteidige einerseits den imperialen Herrschaftsanspruch Rußlands, während er gleichzeitig betone, daß Rußland zu groß sei, um ein verbindliches Rechtssystem zu installieren.

Lukins Verhalten ist wohl ein Beispiel für jene „Vertikale der Macht“, die unter Putin in Rußland wiederauflebt. Wie schon unter Iwan dem Schrecklichen oder Stalin wird die Stärke des Staates vor allem daran gemessen, wie sehr sich seine Untertanen vor ihm fürchten.


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