© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Atlantische Wende im Élysée droht
Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Sarkozy versucht seine US-Affinität zu verbergen / Royal auf außenpolitischem Parkett unbedarft
Alain de Benoist

Am 22. April startet der Wahlmarathon in Frankreich mit der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen. Am 6. Mai folgt die Stichwahl, und am 10./17. Juni finden die beiden Durchgänge der französischen Parlamentswahl statt. Außenpolitische Fragen spielen im Wahlkampf traditionell kaum eine Rolle. Dabei bedrängt die Globalisierung die Grenzen, und was anderswo auf der Welt passiert, hat auch direkte Folgen für die Innenpolitik. Jüngste Umfragen dazu zeitigten vielsagende, aber auch widersprüchliche Ergebnisse. „Frankreichs Platz in der Welt“ rangiert für die Franzosen an letzter Stelle unter den Themen, die sie bei den Präsidentschaftswahlen für wichtig halten – weit hinter Arbeitslosigkeit, Kaufkraft, Bildung oder Sicherheit. Als vorrangiges außenpolitisches Ziel nennen 32 Prozent (48 Prozent der 18- bis 24jährigen) die Entwicklungshilfe, die Gestaltung einer unabhängigen Außenpolitik erhielt nur elf Prozent der Stimmen.

75 Prozent der Franzosen für Distanzierung von US-Politik

Allerdings sprechen sich 75 Prozent der Befragten für eine Distanzierung von der Politik der USA aus, lediglich drei Prozent wünschen sich ein „sehr enges“ Verhältnis, zehnmal so viele Menschen (30 Prozent) ein „sehr distanziertes“. Ausgerechnet die jungen Wähler, von denen man annehmen könnte, sie seien offener für den amerikanischen Lebensstil, lehnen eine außenpolitische Abstimmung mit den USA am heftigsten ab (81 Prozent).

Da Innenminister Nicolas Sarkozy als Kandidat der bürgerlichen Regierungspartei UMP bislang bei den Meinungsumfragen in Führung liegt, muß man zu dem paradoxen Schluß kommen, daß eine mehrheitlich antiamerikanisch eingestellte Wählerschaft mehrheitlich beabsichtigt, einen dezidiert proamerikanischen Präsidenten in den Élysée-Palast zu wählen!

Noch vor drei Monaten gab es in außenpolitischen Fragen klare Unterschiede zwischen den beiden Hauptkonkurrenten, Sarkozy und der Sozialistin Ségolène Royal (JF 48/06). Die PS-Kandidatin stand ausdrücklich für eine Fortführung der politischen Linie der Fünften Republik (Unabhängigkeit gegenüber den USA, Kritik an der amerikanischen Nahost-Politik, Stärkung der Macht Europas, Bemühen um Herstellung eines Nord-Süd-Gleichgewichts), ihr bürgerlicher Rivale für einen Bruch mit dieser Tradition. Den Beinamen „Sarko l‘Américain“ trug er damals mit Stolz. Er reiste zum Fototermin mit George W. Bush nach Washington, gab sich als unbeirrbarer Verteidiger Israels und Bewunderer des Generals und Ex-Premiers Ariel Scharon.

Inzwischen sind die Grenzen unschärfer geworden. Vor allem scheint Sarkozy begriffen zu haben, daß er mit einer allzu offenkundigen Nähe zu den USA im eigenen gaullistischen Lager Stimmen aufs Spiel setzt. Daher äußerte er sich kritisch zur Hinrichtung Saddam Husseins und lobte in seiner Wahlkampferklärung vom 14. Januar Frankreichs Position gegen den Irak-Krieg, die er bei seinem Washington-Besuch im November noch als Ausdruck einer zwecklosen „französischen Arroganz“ denunziert hatte (JF 40/06).

Royal wiederum, die sich in außenpolitischen Belangen durch eine himmelschreiende Unerfahrenheit auszeichnet, hat ihre Anhänger mit zahlreichen diplomatischen Faux-pas und verbalen Entgleisungen verunsichert: von unüberlegten Äußerungen zur Québec-Frage in Kanada über miteinander unvereinbare Erklärungen in Beirut und Jerusalem (zum Dialog mit der Hamas, der Mauer zwischen Israel und den Besatzungsgebieten, den Flügen der israelischen Luftwaffe über Stellungen der UN-Truppen im Libanon etc.) bis hin zu ihrem Beifall für die „Schnelligkeit“ der chinesischen Justiz – nicht zu vergessen die Einmischung in die ungarische Innenpolitik, als sie im September den Rücktritt des sozialistischen Premiers Ferenc Gyurcsány empfahl.

Ihre wiederholte Forderung, dem Iran die zivile Nutzung von Atomkraft zu untersagen, widerspricht sowohl der Rechtslage wie dem Wortlaut des von Teheran unterzeichneten Vertrags zur Nichtverbreitung von Nuklearwaffen. Wenn sie sich von Sarkozy abgrenzen will, muß Royal insbesondere im Hinblick auf den Nahen Osten einen eindeutigen außenpolitischen Kurs definieren. Ob sie dazu überhaupt imstande ist, muß sich noch erweisen.

In der Verteidigungspolitik vertreten beide Kandidaten weitgehend identische Positionen. Beide wollen an Frankreichs Nuklearkapazität (Force de frappe) ebenso festhalten wie an der derzeitigen Höhe der Verteidigungsausgaben. Beide befürworten die Einrichtung eines auch für junge Frauen verpflichtenden Zivildienstes anstelle der Wehrpflicht. Beide wollen das Parlament stärker in außen- und verteidigungspolitische Entscheidungen einbezogen sehen, statt diese wie bisher als „ausschließliche Befugnis“ des Staatsoberhauptes zu verstehen.

Der Frage einer EU-Verteidigungspolitik spricht weder Sarkozy noch Royal an. Sarkozy begnügt sich mit der Behauptung, eine Entscheidung „zwischen europäischer Verteidigung und der Nato“ sei nicht nötig, und es sei unrealistisch, auf das atlantische Bündnis verzichten zu wollen, selbst wenn dieses „nicht die Aufgabe hat, sich in eine Konkurrenz-Organisation zur Uno umzugestalten“. Die PS-Kandidatin wird deutlicher: Sie sei dagegen, daß die Nato „den Weltpolizisten“ spiele. Sarkozy will überdies „die Mittel für Auslandseinsätze aufstocken“, und zwar im Bestreben, „den humanistischen Werten weltweit Geltung zu verschaffen“. Royal schlägt vor, „mit den europäischen Partnern eine Initiative für eine internationale Friedens- und Sicherheitskonferenz im Nahen Osten in Gang zu setzen“.

Auf europäischer Ebene plant Sarkozy einen neuen Anlauf, einen Verfassungsvertrag vom Europa-Parlament verabschieden zu lassen. Royal ihrerseits möchte darüber eine weitere Volksentscheidung abhalten. Weiterhin befürwortet Sarkozy eine „europäische Wirtschaftsregierung“, die Schaffung einer „europäischen Interventionseinheit für das Sozialwesen“ und die Beendigung sämtlicher Verhandlungen über die Aufnahme neuer EU-Mitglieder, solange keine institutionelle Reform stattgefunden hat. Auch Royal will „eine Regierung der Euro-Zone“ schaffen, die Kooperation zwischen der EU und dem Mittelmeerraum stärken und „das Wachstumsziel in die Statuten der Europäischen Zentralbank hineinschreiben“.

Die Nato soll nicht den „Weltpolizisten“ spielen

Von opportunistischen Anwandlungen einmal abgesehen, unterscheidet sich Sarkozys Rhetorik kaum von der des jetzigen US-Präsidenten. Laut dem UMP-Kandidaten „ist der Gegner heute nicht mehr das Sowjetreich, sondern der Terrorismus und die Verbreitung von Atomwaffen“. Dabei kritisiert Sarkozy mit Vorliebe Rußland, vor allem dessen Tschetschenien-Politik. Weil die französisch-deutsche Achse nicht für einen europäischen Neubeginn ausreiche, wünscht er sich eine Annäherung an Großbritannien und ein „mit den USA befreundetes Frankreich“. Wenn er gewählt wird, ist also mit einer atlantischen Wende der französischen Politik zu rechnen.

In Frankreich lebt sowohl die größte jüdische wie die größte muslimische Minderheit Europas. Beide werden Einfluß auf den Ausgang der Wahlen haben, so daß die Kandidaten gut beraten sind, bei ihren Äußerungen zur Außenpolitik Rücksicht auf die Befindlichkeiten der entsprechenden Gemeinschaften zu nehmen. Bei einem Treffen am 13. Februar, das der Repräsentativrat der französischen Juden (CRIF) organisiert hatte, um gegen die „iranische Bedrohung“ zu mobilisieren, waren Sarkozy und Royal zugegen.

Sehr zum Mißfallen der übrigen Bewerber konzentriert sich das öffentliche Interesse am Präsidentschaftswahlkampf derzeit ganz auf Sarkozy und Royal. Der christlich-liberale UDF-Kandidat François Bayrou, der bei der Präsidentschaftswahl 2002 Vierter wurde, sprach von einer „medialen Mästung“, die glauben mache, „es gäbe nur zwei Optionen“.

Mit dieser Polarisierung geht eine beachtenswerte ideologische Zersetzung der großen politischen Blöcke einher. Auf der Rechten ist unübersehbar, daß die UMP unter Sarkozys Führung das historische Erbe des Gaullismus zugunsten eines dürftig mit „Sozialpatriotismus“ kaschierten (Neo-)Liberalismus preisgibt. Genauso offensichtlich sind die Spannungen zwischen der sozialistischen Kandidatin und ihrer Parteispitze. Royal versucht, zum marxistischen Flügel der Linken ebenso Distanz zu halten wie zu dem hedonistisch-libertären Geist von ‘68 oder zu der sozialdemokratischen Kultur der Parteifunktionäre. Dieser Drahtseilakt vermag aber nicht darüber hinwegzutäuschen, daß ihr jedwede ideologische Identität abgeht.

Frankreich erlebt gegenwärtig die Auflösung eines Vermächtnisses, das der ehemalige sozialistische Außenminister Hubert Védrine in seinem letzten Buch treffend als „gaullistisch-mitterrandistisch-chiracistischen Konsens“ definiert hat.

Foto: Präsident Chirac bei Militärparade: Sarkozy wie Royal wollen Frankreichs Nuklearkapazität und den derzeitigen Wehretat weiter beibehalten


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