© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/07 23. Februar 2007

Kolumne
Achillesferse
Bruno Bandulet

Seitdem Rußland dabei ist, die in den neunziger Jahren zeitweilig eingebüßte politische und ökonomische Souveränität zurückzugewinnen, hat der Kreml eine schlechte Presse im Westen. Man kann sogar von einer Kampagne sprechen, die mit gezielter Desinformation arbeitet. Beispiel: der Mord an dem exilierten, in London lebenden Geheimdienstmann Litwinenko. Obwohl es dafür keinerlei Beweise oder Indizien gab, wurde sogleich unterstellt, der Anschlag sei von Moskau aus organisiert worden. Inzwischen kursiert in London die Version, Litwinenko habe illegal mit Polonium gehandelt und sich dabei selbst vergiftet.

Auch im Erdgas-Streit mit dem weißrussischen Diktator Lukaschenko, der Anfang des Jahres eskalierte, fand sich der Kreml umgehend auf der Anklagebank. Von Erpressung war die Rede. Die Fakten sehen etwas anders aus: Weißrußland hatte seit Jahren Öl und Erdgas weit unter den Marktpreisen bezogen - eine Subvention von jährlich weit über fünf Milliarden Dollar, die mindestens einem Sechstel des weißrussischen Bruttoinlandproduktes entsprach und die es Lukaschenko ermöglichte, an der antiquierten Staatswirtschaft sowjetischer Prägung festzuhalten. Minsk raffinierte das russische Öl und verkaufte es anschließend teuer in den Westen. Als Lukaschenko dann auch noch die Transitleitung illegal anzapfte, unterbrach Rußland kurzfristig die Lieferung. Ein sicherlich hemdsärmeliges Vorgehen, aber in der Sache hatte Moskau recht. Kein westlicher Erdölkonzern hätte sich anders verhalten.

Indem sich deutsche Medien und Politiker in die antirussische Kampagne einspannen lassen, werden deutsche Interessen verspielt. Erst im vergangenen Oktober bot Putin der deutschen Kanzlerin bei einem Treffen in Dresden an, Erdgas aus dem noch nicht erschlossenen Schtokman-Feld in die geplante Ostsee-Pipeline zu pumpen und damit die Lieferungen an Deutschland mehr als zu verdoppeln. Merkel lehnte ab, weil sie Warschau nicht verärgern wollte und wohl auch, weil amerikanische Firmen bei der Erschließung des Schtokman-Feldes zuvor ausgebootet worden waren. Aus deutschen Wirtschaftskreisen war zu hören, die Kanzlerin hätte die Gunst der Stunde nutzen sollen.

So ist es in der Tat: Die Abhängigkeit von importierter Energie ist die Achillesferse der deutschen Wirtschaft, und eine deutsch-russische Zusammenarbeit liegt im beiderseitigen Interesse. Die ständig zu hörende Behauptung, Rußland sei ein unzuverlässiger Partner, ist pure Propaganda.

 

Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des Deutschland Briefes und des Finanzdienstes G&M.


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