© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

Es gab auch Heimatvertriebene von der Saar
Der Saarabstimmung 1957 ging eine zwölfjährige französische Repressionspolitik zum Zwecke einer "Entgermanisierung" voraus
Martin Schmidt

Als das Saarland am 1. Januar 1957 in den Staatsverband der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurde (JF 1/06), lag über ein Jahrzehnt der Ungewißheit, innerer Auseinandersetzungen und französischer Repressionen hinter diesem Grenzland.

Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg versuchte die Pariser Politik, das Gebiet zwischen Sankt Wendel im Norden, Saarbrücken im Süden, Merzig im Westen und Neunkirchen im Osten dauerhaft vom deutschen Vaterland zu trennen. Darüber hinaus hatte die französische Besatzungsmacht dem Saarland nach 1945 im Osten einen pfälzischen Landstrich um die Stadt Homburg einverleibt. Als Ziel schwebte ihr für das gesamte Territorium die Angliederung an Frankreich vor. Die mit ihren etwa einer Million Einwohnern dicht besiedelte "Sarre" lockte vor allem durch mächtige Steinkohlelagerstätten und reichlich Schwerindustrie.

Wirtschaftliche Vorteile und Einschränkung der Presse

Am 22. Dezember 1946 wurde eine Zollgrenze gegenüber Deutschland errichtet. Eine im November 1947 durch den Landtag in Saarbrücken angenommene eigene Verfassung sah ein autonomes Saarland in Wirtschaftsunion mit Frankreich vor. In der Präambel heißt es: "Das Volk an der Saar (...) gründet seine Zukunft auf den wirtschaftlichen Anschluß des Saarlandes an die französische Republik und die Währungs- und Zolleinheit mit ihr, die einschließen: die politische Unabhängigkeit des Saarlandes vom Deutschen Reich, die Landesverteidigung und die Vertretung der saarländischen Interessen im Ausland durch die französische Republik (...)."

Mittels verschiedener Verträge und kleiner separatistisch gesinnter saarländischer Unterstützergruppen wurden die Bindungen an die "Grande Nation" schrittweise verstärkt. Anführer der Separatisten war der saarländische Ministerpräsident Johannes Hoffmann, Vorsitzender der Christlichen Volkspartei (CVP). Seine Gegner saßen vor allem in den zu Deutschland haltenden Parteien DPS, CDU und SPR. Die Pariser Regierung und ihre Sachwalter in Saarbrücken beschritten verschiedene Wege, um den Saarländern eine Zukunft an der Seite des südlichen Nachbarn schmackhaft zu machen. Man gewährte gezielte wirtschaftliche Vorteile gegenüber den deutschen Besatzungszonen und propagierte das Vorbild Frankreichs als Kulturnation.

Die "verspätete Siegermacht" verfolgte an der Saar eine Strategie von "Zuckerbrot und Peitsche". Wichtige repressive Instrumente bildeten die Einschränkung der Pressefreiheit, die Benachteiligung unliebsamer Parteien sowie die Spitzeltätigkeit der berüchtigten "P 6", der "Politischen Polizei". Die radikalste Maßnahme bildete die sogenannte "Entpreußung" des Saarlandes, das heißt die Ausweisung mißliebiger deutschgesinnter Personen. Bei den insgesamt schätzungsweise 2.500 Gegnern der Abtrennungspolitik, die auf Befehl der Landesregierung und des hinter dieser stehenden französischen Militärgouverneurs Gilbert Grandval zwischen 1946 und 1953 ihre Heimat verlassen mußten, handelte es sich um verschiedene Gruppen. "Entpreußung", das beinhaltete beileibe nicht nur eine Entnazifizierungs- und Entmilitarisierungspolitik, wie man in Saarbrücken und Paris immer wieder beteuerte. Auch erklärte NS-Gegner wie der Pfarrer Franz Bungarten waren betroffen. Dieser wurde des Landes verwiesen, weil er sich wie viele andere katholische Geistliche gegen die "Los-von-Trier-Bewegung" gewandt hatte, also gegen die offiziell erwünschte Schaffung eines eigenen Saarbistums. Daß sich Paris erfolgreich gegen eine Aufnahme vertriebener Ostdeutscher besonders an der Saar sperrte, paßt ins Bild dieser Politik.

Kurz nach Kriegsende hatten sich die Besatzer kurzzeitig sogar mit Plänen zur Umsiedlung von 100.000 bis 150.000 Saarländern getragen, ließen davon jedoch nach US-amerikanischen und britischen Interventionen schnell ab. Obwohl speziell im französischen Besatzungsarchiv in Colmar/Elsaß eine Menge Akten aufbewahrt wurden, ist die Quellenlage in bezug auf die Ausweisungspolitik dünn. Listen mit den betroffenen Personen existieren nicht (mehr), viele Akten wurden vernichtet.

Schlechtes Prestige der französischen Besatzer

Doch auch die wenigen verbliebenen Informationen fügen sich nicht in das Bild ein, das so manche heutige Historiker von der französischen Besatzungspolitik skizzieren. Vor dem Hintergrund der späteren "deutsch-französischen Freundschaft" bescheinigen sie dem westlichen Nachbarn, in ihrer Zone sowie im Saarland eine eigenständige Reform- und Demokratisierungspolitik betrieben zu haben, die vielfach weiter gereicht habe als in der amerikanischen und der britischen Zone. Die verschiedensten Repressionen finden dabei nur am Rande Erwähnung. Desgleichen die Tatsache, daß die französische Besatzungsmacht in Westdeutschland alles andere als beliebt war; ihre sich über Baden und das heutige Rheinland-Pfalz erstreckende Zone galt als besonders ärmlich und ihre Repräsentanten als ausgesprochen arrogant. Vom besseren Prestige der Briten und Amerikaner waren die Franzosen de facto weit entfernt.

Im Saargebiet sah es ähnlich aus, so daß die Volksbefragung über das Saar-Statut am 23. Oktober 1955 - allen Manipulationsversuchen zum Trotz - mit 67,7 Prozent klar zugunsten Deutschlands ausfiel.

Foto: Zollbeamte entfernen nach der wirtschaftlichen Integration in die Bundesrepublik am 2. Juli 1959 Amtsschilder an der Binnengrenze zum Saarland: Französische Strategie von Zuckerbrot und Peitsche


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen