© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

Das Leben ist ein Leiden
Fasziniert von Frauen und Vergänglichkeit: Max Klingers graphisches Werk in Karlsruhe
Matthias Schultz

Zart, fast wie bei "Michelangelos Erschaffung Adams", berühren sich die Finger. Tasten sich in der Dunkelheit zögernd zueinander vor, über den entblößten, lang ausgestreckten Leib einer schlafenden Schönen hinweg. "Der Philosoph" betrachtet, begreift sich selbst über die nackte Wahrheit hinweg und ist Max Klingers Verarbeitung sowie Antwort auf Arthur Schopenhauers Feststellung, daß es stets ein vergeblicher Versuch bleiben muß, sich selbst zu erkennen. Aber auch Friedrich Nietzsches Vorstellung vom Übermenschen spiegelt sich in dem idealisierten Heros auf dieser Radierung wider. Klinger, der am 18. Februar 150 Jahre alt geworden wäre, wird in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit einer 130 Blätter umfassenden und somit fast das gesamte graphischen Œuvre umfassenden Schau gewürdigt. Denn der gebürtige Leipziger studierte 1874 für rund ein Jahr in dieser Stadt.

Schon früh und zeit seines Lebens setzte sich Klinger mit dem Thema Tod auseinander. Und auch die Arbeit "Der Philosoph" gehört zu dem erst 1910 vollständig erschienenen Zyklus "Vom Tode, Zweiter Theil, Opus XIII", an dem er insgesamt immerhin 25 Jahre lang gearbeitet hat.

Klinger zollt mit seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit aber nicht nur der Kunstgeschichte, wie zum Beispiel den Totentänzen des Mittelalters, sondern auch der Wissenschaft Tribut. Denn in Kenntnis von Charles Darwins Theorien veranschaulichen seine Arbeiten auch die biologische Notwendigkeit des Vergehens. Der Tod wird bei ihm gar zum christusgleichen Erlöser, zur conditio sine non qua des ewigen Lebenskreislaufes.

Bereits in dem Zyklus "Vom Tode. Erster Theil, Opus XI" von 1889 schildert er Situationen, in denen die Launenhaftigkeit und Zufälligkeit des Todes zum Vorschein kommt. Nicht immer ohne Ironie, wie bei der Arbeit "Auf den Schienen". Klinger zeigt einen Knochenmann als Selbstmörder, der wie ein Kind mit dem Finger im Mude voller Vorfreude dem Unheil entgegenblickt, das gleich eintreten wird.

Den Auftakt zu dieser Reihe wiederum bildet die Radierung - "Griffelkunst", nannte Klinger selber diese Technik auch gerne - "Die Nacht". Der Künstler selbst, mit in die Hand gestütztem Kopfe und somit in der Haltung des Melancholikers dargestellt, schaut auf eine langstielige Lilie, die von einem Schmetterling umflattert wird. Sinnbild der Schönheit, aber auch der Begegnung von Eros und Thanatos.

Die unterdrückten Begierden des Bürgertums

Überhaupt kommt die verführerische, aber durchaus auch gefährliche Macht des schönen Geschlechtes gerade in seinen frühen Arbeiten besonders zum Ausdruck. Hübsche, schlanke, feengleiche Frauen necken plumpe, aber durchaus gefährliche Tiere wie Alligatoren, Bären oder Adler, die eben das Animalische, Triebhafte und deshalb letztlich doch Unterlegene der Männer symbolisieren. Klingers berühmteste Mappe "Ein Handschuh", 1881 erschienen, die ihm schon früh hohe Anerkennung einbrachte, schildert die Geschichte ebenjenes fetischhaft aufgeladenen Damen-Accessoires.

Im Berliner Milieu der Gründerzeit zeichnete Klinger gleichwohl damit auch ein Sittengemälde seiner Epoche, in der die unterdrückten Begierden gerade der aufstrebenden und um gesellschaftliche Anerkennung ringende Bourgeoisie thematisiert wurden. Der von der Angebeteten auf einer Rollschuhbahn in der Hasenheide verlorene Handschuh wird zum Sinnbild der Phantasien des männlichen Finders. Er errichtet ihm in seinen Träumen Altäre und wird gleichwohl von dem Kleidungsstück verfolgt und bedrängt.

Doch auch der Leiden von gefallenen Frauen nahm sich Klinger sozialkritisch an. In der Folge "Ein Leben, Opus VIII" zeichnet er den Weg von der Verführung über die gesellschaftliche Ausgrenzung der mit Häme und Verachtung gestraften Prostituierten bis hin zu ihrem Untergang nach.

Aber auch hier bildet den Endpunkt der Reihe eine Arbeit, die "Ins Nichts zurück" betitelt ist und den Bogen wiederum schlägt zu Klingers Verehrung von Schopenhauers in "Parerga und Paralipomena" manifestiertem Paradigma, daß eben das Leben ein Leiden sei, von dem nur der Tod befreit.

Die Ausstellung ist noch bis zum 9. April in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Hans-Thoma-Straße 2-6, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Sa./So. bis 18 Uhr, zu sehen. Einrtitt: 6, ermäßigt 4, Schüler 2 Euro. Zur Ausstellung ist ein Katalog (184 Seiten, 170 Abbildungen) zum Preis von 20 Euro erschienen.

Max Klinger, Opus VIII-Ein Leben, 1883, Graphikzyklus


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