© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

Das Feuer brennt noch
Politische Zeichenlehre XVI: Die Flamme
Karlheinz Weissmann

Nun hat der Kampf um politische Korrektheit die schöne neue Sekundärwelt erreicht. Der Vorstoß eines Jugendverbandes des Front National, der sich in der Internet-Simulation Second Life etablieren konnte, sieht sich heftigsten Gegenangriffen ausgesetzt. Die richten sich symbolisch vor allem gegen Plakate mit dem Gesicht Jean-Marie Le Pens, das man originellerweise mit einem Hitlerbärtchen ziert, und gegen die Flamme in den Farben Blau-Weiß-Rot, das Parteiemblem des FN, das ein Strichmännchen mit Feuerlöscher angeht.

An sich ist die Flamme ein unbestritten positives Zeichen und so allgemein verbreitet, daß sie kaum mit einem politischen Gehalt verknüpfbar scheint. Sie tritt fast nur als Attribut auf und wird dann sowohl im Kontext der christlichen wie auch der revolutionären Ikonographie als Sinnbild der "Erleuchtung", der "Aufklärung", des "Neubeginns" betrachtet.

Politisches Symbol im engeren Sinn wurde die Flamme erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Italien durch die Fiamma Tricolore. Soweit feststellbar, geht die Flamme in den Farben der italienischen Flagge Grün-Weiß-Rot auf einen Entwurf Giorgio Almirantes zurück, der schon zu den Gründern und - mit längerer Unterbrechung - zu den wichtigsten Führern des Movimento Sociale Italiano (MSI) ("Italienische Soziale Bewegung") gehörte.

Der MSI war im Dezember 1946 von Funktionären und Anhängern des faschistischen Regimes, vor allem seiner letzten, radikalen Phase in Gestalt der Repubblica Sociale Italiano (RSI) ("Italienische Soziale Republik") gegründet worden und suchte mit seinem Namen unverkennbar Anschluß an diese Tradition. Ganz offen war das Bekenntnis aus taktischen Gründen aber nicht. Die Zurückhaltung kam der Entwicklung des MSI durchaus zugute, der kleinere Parteien der Rechten aufsog und im italienischen Parteiensystem einen festen Platz einnahm, ohne aber je von den "Antifaschisten" als regierungsfähig angesehen zu werden.

Um sich für bürgerliche Wähler akzeptabler zu machen, mied der MSI direkte Rückgriffe auf die faschistischen Embleme. Die Flammensymbolik hat allerdings in der RSI eine Rolle gespielt. Nach dem Sturz des Könighauses waren die Truppen der Sozialrepublik mit neuen Abzeichen versehen worden, aus denen man die monarchischen Elemente entfernt hatte. Dabei kamen zwei- oder dreigezackte Kragenabzeichen in verschiedenen Farben in Gebrauch, die als "Blitze" oder "Flammen" bezeichnet wurden. Hingewiesen sei auch darauf, daß sich eine Eliteeinheit der RSI Fiamme nere ("Schwarze Flammen") nannte.

Der MSI war als feste Größe der italienischen Innenpolitik nie gefährdet. Zur Existenzbedrohung wurde erst der Zusammenbruch seines Hauptfeindes, des Kommunismus. Dieser unerwartete Vorgang zwang den MSI, seine politische Position neu zu begründen. Daraus hat der 1987 gewählte Parteisekretär Giorgio Fini die Konsequenz gezogen und den MSI 1994 in eine "postfaschistische" Partei - die Alleanza Nazionale (AN) - umgeformt. Die führt seither eine blau-weiße Flagge mit dem Parteinamen im blauen Feld, konnte sich von dem alten Emblem aber nicht ganz trennen und setzte es in den unteren Teil. Das war als symbolische Konzession an diejenigen Kräfte gedacht, die eine Neuorientierung in Richtung Mitte mit Skepsis beobachteten.

Auf die Dauer konnte das Ausscheren der Ultras aber nicht verhindert werden, die sich seither in verschiedenen kleineren Parteien - Fronte Sociale Nazionale, Forza Nuova oder Movimento Sociale Fiamma Tricolore - organisieren und alle auf die Werbekraft der Fiamma Tricolore setzen, die sie in immer neuen Varianten verwenden. Bezeichnenderweise hat sich im September 2003 sogar ein Nuova MSI ("Neuer MSI") gegründet, der das alte Symbol ohne Änderung weiter benutzt.

Sehr viel später als der MSI entstand 1972 der Front National. Beide Parteien haben aber gewisse Ähnlichkeiten als rechte Sammlungsbewegungen. Einige Darstellungen der Parteigeschichte des FN weisen darauf hin, daß Le Pen von Almirante ausdrücklich die Erlaubnis erbeten habe, die Fiamma Tricolore übernehmen und als Abzeichen des FN in den französischen Farben Blau-Weiß-Rot verwenden zu dürfen.

Ob darin auch so etwas wie die Anbahnung einer "europäischen Rechten" gesehen werden sollte, ist unklar. Fest steht nur, daß Le Pen sich damit symbolisch von dem im französischen Nachkriegsnationalismus dominierenden Keltenkreuz absetzte und die Grundlage für eine Propaganda schuf, die in bezug auf ihre Wirksamkeit dem italienischen Vorbild längst überlegen ist.

Die JF-Reihe "Politische Zeichenlehre" des Göttinger Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Foto: Parteiemblem des Movimento Sociale Italiano (MSI)


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