© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

CD: Klassik
Ohrenschmaus
Andreas Strittmatter

Ganz gereicht hat's dann doch nicht. Mit Mozarts Oper "La Clemenza di Tito" und zwei Nominierungen standen René Jacobs und das Freiburger Barockorchester (samt Solisten und Rias-Kammerchor) am vergangenen Sonntag bei der Verleihung des 49. Grammy Award in Los Angeles im Rennen. Die Preise für das beste Klassikalbum und die beste Operneinspielung wanderten dann doch in andere Hände. Vor allem für das Orchester wäre die Verleihung eines (oder beider) Musik-"Oscars" ein gelungener Auftakt zum 20. Gründungstag gewesen, der in diesem Jahr gleichfalls auf dem Programm steht. In Freiburg mag man sich ob der entgangenen Trophäen damit trösten, daß "Dabeisein" im wahrsten Sinn des Wortes manchmal eben schon alles ist.

In Sachen Mozart legten Jacobs und das Orchester soeben eine Platte mit schwergewichtigem Grundrepertoire nach - die bei Harmonia Mundi erschienene CD vereint die späten Symphonien Nr. 38 D-Dur (KV 504) und Nr. 41 C-Dur (KV 551). Oder anders gesagt - besser insinuiert: Braucht die Welt noch eine Aufnahme der Prager und der Jupiter-Symphonie? Schließlich gibt es bereits einige hervorragende Aufnahmen (dazu noch jede Menge Ordentliches und ein paar unterirdisch schlechte Beiträge) in der Diskographie beider Werle.

Solche und anverwandte Fragen stellen sich immer wieder, sobald es um die Grundfesten klassischer Musik geht. Noch eine Beethoven-Symphonie? Schon wieder Brahms? Die Antwort ist so einfach wie die Frage falsch: Eine Aufnahme, die künstlerisch etwas zu sagen hat, muß ihre Existenz nicht rechtfertigen. Basta.

Bei dieser Mozart-Platte ist das ohne Wenn und Aber der Fall. Wohin käme die Kultur, verkröche sie sich vor der Menge an Durchschnittlichkeit in ein Schneckenhaus? Ob sich die Scheibe angesichts der schon in Zahl und Menge mächtigen Konkurrenz gut verkauft, ist eine Frage, mit der sich nicht die Kunst, sondern die Plattenfirma herumschlagen muß. Bestenfalls zeigt sich in diesem Punkt die Gefahr, die das Nachrangige darstellt, wenn es Auslagen und Regale in den Plattenläden besetzt hält.

René Jacobs und das Freiburger Barockorchester setzen auf eine strenge und durchdachte Interpretation beider Werke abseits jedweder Tendenz, die Partituren romantisch zu überhöhen und das Heil im vordergründigen Effekt klanglicher Schönfärberei zu suchen. Das Ergebnis ist aber kein staubtrockenes Klangbild, sondern eine durch detailfreudige Artikulation und Phrasierung entstaubte Frische, die dynamisch fein nuanciert daherkommt.

Hier wurde hörbar auch an Kleinigkeiten gefeilt. Dabei machen es sich die Beteiligten alles andere als einfach, angefangen von den ohne alle Vibratoseligkeit agierenden Streichern über die solistische Trümpfe ausspielenden Bläser bis hin zu den markanten Blecheinsätzen. Trotz der intensiven Konzentration auf Feinheiten der Partitur und reichlich zügig geschlagener Tempi fehlt dieser Aufnahme keineswegs der Atem, klingt keine Passage übereilt, verstrampelt sich das Orchester nie in einen um seiner selbst willen durchexerzierten dramatisch angepinselten Leerlauf. Zudem behalten Jacobs und die Musiker Bögen und Verzahnungen der symphonischen Architektur stets im Blickfeld.

Musik als dauernder Erregungszustand mag die Devise dieser Platte lauten, die dem Hörer die Symphonien nicht als zuckersüße Mozartkugel serviert, sondern streckenweise eher als Stahlmantelgeschoß um die Ohren haut - ein hochwillkommener Nachtrag zum vergangenen Mozartjahr und ein Heilmittel für all jene, denen Wolfgang Amadeus Mozart nach dem vielen Schmus, den die Jubelfeierlichkeiten auch mit sich gebracht hatten, eigentlich schon aus den Ohren herausquoll.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen