© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

Generation Praktikum auf dem Prüfstand
Arbeitsmarkt: Die Hans-Böckler-Stiftung erstellte eine Studie über das Prekariat mit Hochschulabschluß
Fabian Schmidt-Ahmad

Ein Schreckgespenst geistert durch die deutschen Feuilletons: Es heißt "Generation Praktikum" und beschreibt die scheinbar endlose Verweildauer eines Hochschulabsolventen in der Grauzone zwischen Studium und Beruf. Der Dauerpraktikant stellt gewissermaßen die außeruniversitäre Entsprechung zum Dauerstudenten dar. Jener vermeidet den drohenden Gang in die Arbeitslosigkeit, indem er seinen Abschluß immer weiter hinauszögert, dieser, indem er während seiner Suche nach einer festen Anstellung ein Praktikum nach dem anderen absolviert.

Diese hochqualifizierten Arbeitskräfte treffen nun auf Unternehmen, die diese prekäre Situation ausnutzen können. Steht ursprünglich eigentlich ein Bildungsgedanke hinter dem Praktikum, so handelt es sich manchmal um reine Ausbeutungsverhältnisse. Statt sich weiterzuentwickeln, bleibt der Lernwert - abgesehen von dieser Erfahrung - für den Praktikanten unbefriedigend. Entsprechend regt sich Protest. Beispielsweise fordert der Verein Fairwork e.V. eine Mindestvergütung für Praktika in Anlehnung an den Sozialhilfesatz. Die ehemalige Praktikantin Désirée Grebel reichte vergangenes Jahr eine Petition in den Bundestag ein, der zufolge Praktika über drei Monate Dauer in reguläre Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden sollen und ähnliches mehr.

Mehr Dauer-Praktika statt regulärer Arbeitsverhältnisse

Dennoch bleibt es ein Gespenst in doppelter Hinsicht. Denn bisher ist weder klar, ob hier ein sich verschärfender Prozeß der Umwandlung von Arbeitsverhältnissen in "Praktika" stattfindet, noch ob dies in einem sozial relevanten Umfang geschieht. In der Tat gibt es Entwicklungen, die der Gefahr "Generation Praktikum" scheinbar widersprechen und - im Gegensatz zu dieser - gut mit Zahlen belegt sind. Beispielsweise der "brain drain", der die zunehmende Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte aus Deutschland beschreibt (JF 44/06). Auch der "generation gap" in der demographischen Entwicklung Deutschlands läßt den Gedanken überzähliger deutscher Akademiker unwahrscheinlich erscheinen (JF 41/06).

Vor diesem Hintergrund erhält die Studie "Generation Praktikum? Prekäre Beschäftigungsformen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen", die im Auftrag der DGB-Jugend und der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung durchgeführt wurde, ein besonderes Gewicht. Grundlage der Studie ist die Auswertung eines Fragebogens, der im vergangenen Herbst an alle Absolventen des Wintersemesters 2002/03 der Freien Universität Berlin (FU) und der Universität Köln verschickt wurde. Zum Vergleich wurde eine ähnliche FU-Umfrage von 2000 herangezogen.

Das Ergebnis ist durchaus vielschichtig: Gaben noch 25 Prozent der Abgänger des Jahres 2000 an, ein Praktikum nach dem Studium durchgeführt zu haben, so waren es drei Jahre später bereits 41 Prozent. Möglicherweise zeichnet sich hier eine entsprechende Entwicklung ab - so jedenfalls werden die Zahlen von seiten des DGB interpretiert. Andererseits stellten die Autoren für Akademiker weiterhin eine Arbeitslosenquote von vier Prozent fest, was deutlich gegen eine "Generation Praktikum" spricht.

Außerdem gibt es ein Nord-Süd-Gefälle: Fast 60 Prozent der Stellen für junge Akademiker werden in Bayern und Baden-Württemberg ausgeschrieben. Über 70 Prozent der Angebote richten sich an die Absolventen technischer Studiengänge, ermittelte kürzlich der "Young Professional Index" der Zeitarbeitsfirma "Jobs in time". Aufschlußreicher wird das Bild, wenn man nach einzelnen Fachgruppen differenziert. Denn auf den Bereich "Industrie, Handel, Banken, Versicherung" fallen lediglich acht Prozent aller absolvierten Praktika, während der Bereich "Kunst, Kultur, Medien" mit 27 Prozent den größten Anteil ausmacht. Gleichzeitig finden sich im ersten Bereich diejenigen Praktika, die am besten vergütet werden. Im Gegensatz dazu sind Praktika im Medienbereich überwiegend unbezahlt. Die Vermutung liegt also nahe, daß die "Generation Praktikum" eher eine fachspezifische Erscheinungsform darstellt.

Techniker und Ingenieure haben nur wenig Probleme

Dies würde auch die starke Diskrepanz zwischen männlichen und weiblichen Absolventen erklären. Während nur 23 Prozent aller Männer ein Praktikum nach dem Studium absolvierten, sind es 44 Prozent bei den Frauen. Auch wird ein Praktikum bei Männern mit durchschnittlich 741 Euro deutlich besser vergütet als bei Frauen mit 543 Euro. Denn im Bereich "Kunst" sind mehr Frauen tätig als im Bereich "Industrie" - was die Absolventenstruktur etwa im Bereich Ingenieurwissenschaften verdeutlicht. Es ist also kein gesamtgesellschaftliches Schreckensszenario, das die Studie widerspiegelt, sondern eher die Gepflogenheit, wie im Kulturbereich mit arbeitenden Menschen umgegangen wird.

Wenn also der DGB auf Grundlage dieser Studie "gesetzliche Regelungen, die ein Praktikum als ein Lernverhältnis klar definieren", fordert, so geht dies am eigentlichen Kern des Problems möglicherweise vorbei. Denn die Schwierigkeit dürfte nicht der unsichere Rechtsstatus sein, sondern die Tatsache, daß das Kulturleben einem ständigen Rechtfertigungsdruck gegenüber rein ökonomischen Zwängen ausgesetzt ist: Zwänge, die letztlich Kultur nicht als einen Eigenwert betrachten. Praktisch äußert sich dies dadurch, daß Arbeit in diesen Bereich nicht angemessen anerkannt und so zum "Praktikum" als einer individuellen - und schlecht bezahlten - Selbstverwirklichung wird.

Schlußendlich dürfte die Böckler-Studie noch nicht aussagekräftig genug sein, um einen eindeutigen gesellschaftlichen Trend feststellen zu können. Deutlich wird aber, daß insgesamt keineswegs von einer "Generation" an Praktikanten die Rede sein kann.

 

Dieter Grühn, Heidemarie Hecht: Generation Praktikum? Prekäre Beschäftigungsformen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Im Internet abrufbar unter: www.boeckler.de/pdf/impuls_2007_02_3.pdf

 

Foto: Praktikanten-Kundgebung in Berlin: Der Problemschwerpunkt liegt im Bereich "Kunst, Kultur, Medien"


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