© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Grundlos nach Sibirien verschleppt
In Potsdam wird an fast tausend vor sechzig Jahren deportierte Jugendliche erinnert
Georg Schmelzle

Am 8. Februar 1947 verließ ein Güterzug mit 992 "arbeitsfähigen" Jugendlichen aus der Sowjetischen Besatzungszone das Lager Mühlberg an der Elbe. Die sowjetische Besatzungsmacht hatte sie fälschlich als "Werwölfe" oder wegen ihrer Funktionen in der HJ in den Speziallagern des NKWD (Fünfeichen, Sachsenhausen, Weesow, Berlin Hohenschönhausen, Ketschendorf, Jamlitz, Buchenwald, Torgau und Bautzen) ohne Verurteilung interniert und in Mühlberg zusammengezogen. Einkleidung erfolgte mit alten Wehrmachtsbeständen und Pelzmützen. Das brachte ihnen die Bezeichnung "Pelzmützentransport" ein. Bei der schlechten Versorgungslage in den Lagern erschien dieser Transport in 28 Güterwagen zunächst sogar als eine Überlebenschance.

Seit der Wende in der DDR haben die dorthin bis 1954 zurückgekehrten Überlebenden Kontakt aufnehmen können und auch Verbindungen zu Menschen in dem bis 1992 "unzugänglichen" Industriegebiet bei Nowokusnez, Tomsk und Kemerowo geschaffen.

Sie arbeiteten seit 1993 mit dem Verband der Rußlanddeutschen in Moskau zusammen. Sehr hilfreich war ein Besuch bei der russischen Häftlingsorganisation Wosrechtschenije (Wiederkehr) im selben Jahr. Über sie konnten auch Dokumente über den "Pelzmützentransport" aus dem Hauptsitz des Sicherheitsdienstes, der berüchtigten "Lubjanka" in Moskau, besorgt werden.

1997 unternahmen fünf Verschleppte eine Reise nach Sibirien, wobei sie auch Spenden für die notleidende Bevölkerung, vor allem wertvolle Medikamente gegen die dort erneut in sehr bösen Formen grassierende Tuberkulose mitnahmen.

Die Gruppe wurde von einem Kamerateam begleitet, das einen Dokumentarfilm drehte. Die fünf Überlebenden erarbeiteten dazu ein Beiheft mit Dokumenten und Totenlisten. Diese Dokumentation über den "Pelzmützenransport" wurde sogar von der Landeszentrale für Politische Bildung in Brandenburg in Potsdam gefördert. Der Bericht "Wir waren schon halbe Russen" liest sich wie eine Abenteuerreise.

Die Dokumentation ist die Antwort auf eine DDR-Pressekonferenz vom 17. Januar 1950, bei der Gerhart Eisler vor westlichen Korrespondenten bestritt, daß jugendliche Internierte in die Sowjetunion zwangsverschleppt worden seien. Diejenigen, die bis 1954 nach Hause kamen, wollten vor allem diese Lüge über die Arbeitskräftebeschaffung von Jugendlichen durch das sowjetische System - ohne Nachweis von Kriegsverbrechen - widerlegen.

Schwerpunkte der geheimen Rohstoff- und Rüstungsindustrie in Westsibirien wurden überwiegend mit Zivil-internierten als Arbeitskräfte versorgt, weil man bei Kriegsgefangenen mit Entlassungen rechnen mußte. In dem Gebiet Novokusnez (früher Stalinsk) waren damals noch 22.000 Zivilisten, zum Teil Rußlanddeutsche und auch japanische Gefangene eingesetzt.

Die Gruppe der "Pelzmützen" und das Kamerateam besuchten vor allem das Gebiet Kemerow, wo sie die alten verkommenen Industrieanlagen vorfanden und auch eine große von ihnen gebaute Brücke über den Tom, die bis heute gehalten hat. Gegenwärtig sind dort strafgefangene Kriminelle eingesetzt.

Die "Pelzmützen" sorgten auch mit Hilfe des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge für eine Pflege der Friedhöfe der deutschen Deportierten und die Anbringung von Erinnerungstafeln. Sie besuchten den "Japanerberg", auf dem auch 122 der "Pelzmützen" verscharrt worden sind.

Damals bestand die Hoffnung, Bundeskanzler Gerhard Schröder würde zwei Mitglieder dieser Gruppe, die das Schicksal der jugendlichen Internierten klärte, am 8. Mai 2005 nach Moskau zu den Feierlichkeiten anläßlich des Kriegsendes mitnehmen, um Präsident Wladimir Putin ihre Dokumentation zu überreichen und ihn vielleicht zu einem Bedauern über die stalinistischen Verbrechen an den Deutschen nach Kriegsende zu bewegen.

Insbesondere das Verdienst der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) und der Initiativgruppe Mühlberg e.V. zur Aussöhnung von Russen und Deutschen hatte diese Hoffnung gerechtfertigt. Der Dokumentation und dem Film wären eine weiteste Verbreitung im Fernsehen und an Schulen zu wünschen - aber solch vorurteilsfreie Vergangenheitsbewältigung entspricht wohl nicht dem Zeitgeist. 

 

Foto: Schicksal Sibirien: Gestohlene Jugend

"Wir waren schon halbe Russen ...". Deportiert und überlebt im GULAG. Filmvorführung und Gespräch mit Filmemacher Dirk Jungnickel am Dienstag, den 27. Februar 2007, 19.30 Uhr in Potsdam (Pater-Bruns-Haus, Am Bassin 2); eine Veranstaltung des Bildungswerks Potsdam der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und der Veranstaltungs- und Bildungsinitiative der Kath. Pfarrgemeinde St. Peter und Paul Potsdam.


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