© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Auf dem Zweitverwertungsbasar
Ein neuer Sammelband über die "reaktionäre Moderne" im "progressiven" Publikationsgeschäft
Reiner Hollmann

Die Herausgabe von Sammelbänden sollte für, sagen wir, fünf Jahre verboten werden. Nicht von Amts wegen, da sei das Grundgesetz vor. Aber informell läßt sich das ja auch regeln, durch eine Absprache der wissenschaftlichen Verlage, derartige Erzeugnisse eine Zeitlang einfach nicht mehr zu produzieren. Reichlich Anlaß zu einer solchen Forderung bietet die Aufsatzsammlung, die der Germanist Walter Schmitz und der Zeithistoriker Clemens Vollnhals auf den Markt gebracht haben: "Völkische Bewegung - Konservative Revolution - Nationalsozialismus".

Angekündigt war das Werk um die Jahrtausendwende. Offenbar lagen einige Beiträge zu diesem Zeitpunkt auch schon vor. Das erklärt, warum sie ausweislich ihres Anmerkungsapparats inzwischen nicht mehr den neuesten Forschungsstand repräsentieren. Daraus resultiert ein erstes Ärgernis für den geneigten Leser - dem auf dem Fuße ein zweites folgt, wenn er das Inhaltsverzeichnis studiert.

Dort begegnet er Berthold Petzinna, der über die "Wurzeln des Ring-Kreises" schreibt. Petzinna verdanken wir eine solide Monographie zu diesem Zentrum der "Konservativen Revolution" (JF 23/00), die hier in einer Aufsatz-Abbreviatur zweitverwertet wird. Es schließt sich an der Aufsatz von Birgit Rätsch-Langejürgen über "Ernst Niekisch und der Widerstands-Kreis". Keine Zeile, kein Gedanke, der einem nicht aus der Niekisch-Monographie (1997) der Verfasserin vertraut wäre. Rainer Kolk geht der Beziehung zwischen George-Kreis und KR nach, extrahiert aber nur seine monumentale Arbeit über "Literarische Gruppenbildung" (1998) am Beispiel des Kreises um den "Meister". Tobias Schneider untersucht den "Klages-Kreis im Spannungsfeld der NS-Kulturpolitik", wiederholt indes lediglich, was er uns darüber bereits vor Jahren in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte erzählte.

Der Hamburger Archivar Rainer Hering, inzwischen zum Direktor des Landesarchivs in Schleswig aufgerückt, identifiziert die "Ideologie der Überparteilichkeit" als eiserne Ration politischer Kultur vor und nach 1918, hat diese Einsicht in seinem Opus zur Geschichte des Alldeutschen Verbandes indes zur Genüge traktiert ("Konstruierte Nation", 2003, JF 50/04). Siegfried Lokatis, bekannt geworden mit einer Untersuchung über die Hanseatische Verlagsanstalt, deren Programm KR und Nationalsozialismus unter einen Hut zu bringen versuchte, exzerpiert daraus für diese Sammlung ein paar Seiten zum "verlagspolitischen Anpassungsprozeß" von 1933/34. Stefan Nienhaus wendet sich Carl Schmitt und einigen seiner literarischen Freunde aus den Jahren vor der vermeintlichen "Kronjuristenzeit" zu. Aber entgegen der Ansicht von Nienhaus, dies sei von der Schmitt-Forschung bislang im Schatten gelassen worden, wissen wir doch viel über die Beziehungen zu Theodor Däubler, zu Hugo Ball und Franz Blei, die in der Münchner Bohème-Zeit des Staatsdenkers wurzeln. Und gerade für diese kurze biographische Episode mußte sich Nienhaus mittlerweile von der Edition der Carl-Schmitt-"Tagebücher" überholen lassen (JF 50/05).

Christian Jansen verzichtet gleich eingangs ehrlich auf jeden Originalitätsanspruch und gesteht, er habe mit seinem Aufsatz über den "antiliberalen Demokraten" und Beinahe-Reichspräsidenten Willy Hellpach nicht länger warten wollen und ihn deshalb 2001 in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft publiziert - "da es lange Zeit ungewiß war, ob der vorliegende Sammelband erscheinen würde". Doppelt und dreifach hält besser, muß sich auch Michael Grüttner gesagt haben, der zwischenzeitlich zu den aus seiner Feder reichlich geflossenen "Überblicken" zur NS-Wissenschaftspolitik einiges hinzugefügt hat, und der sich hier also zum x-ten Mal und nichts substantiell Neues bietend zum Thema "Die deutschen Hochschullehrer und der Nationalsozialismus" verbreitet. Holger Dainat macht es Jansen nach und räumt umstandslos ein, daß sein Beitrag über die "Neuere deutsche Literaturwissenschaft in der NS-Zeit" auch nur die "erweiterte und aktualisierte Fassung" eines Aufsatzes von 1997 sei - wobei es weder mit der Erweiterung noch mit der Aktualisierung sehr weit her ist.

Fast unnötig zu sagen, daß wir vom Herausgeber Vollnhals schon lasen, was er uns nun über den "Praeceptor Germaniae" Oswald Spengler und dessen politische Publizistik mitteilen will: viele Spengler-Zitate, auf die das bei Jeffrey Herf ausgeliehene Etikett der "reaktionären Moderne" gepappt wird. Nicht zu vergessen, den "Kontext des deutschen Illiberalismus", in den Vollnhals Spengler stellt, der uns aber nicht mehr so prickelnd innovativ anmutet, seit Fritz Stern vor vierzig Jahren diese Deutung zum Patent anmeldete.

Aus seiner Feder zwar gleichfalls nicht mehr neu, aber immerhin interessant bleiben die beiden Ausblicke, die Justus H. Ulbricht auf "verlagsgeschichtliche Zugänge" zu dem titelgebenden "ideologischen Syndrom" riskiert. Ulbricht, der wohl weiß, wenn auch etwas schräg formuliert, daß hier ein "Vielzahl positivistischer Grundlagenforschung notwendig" sei, zeigt uns aber zwangsläufig nicht einmal die "Spitze des Eisbergs".

Neben Matthias Piefels Annäherung an den "völkischen Agitator" Bruno Tanzmann und der "Germanenkunde und Nationalsozialismus" am Beispiel des "Männerbund"-Ideologen Otto Höfler thematisierenden Studie von Esther Gajek ragt allein der Beitrag von Walter Schmitz und Michael Neumann über "Schlesische Grenzkämpfe" aus diesem Zweitverwertungsbasar heraus. Die "literarische Semiotik eines geteilten Landes" anhand des "O.S."-Romans von Arnolt Bronnen, garniert mit Rück- und Seitenblicken auf Gustav Freytag, Ernst von Salomon, August Scholtis und Wilhelm Wirbitzky, hätte sogar ein guter Aufsatz werden können, wären die beiden Verfasser nicht fortwährend darauf erpicht gewesen, mit ihren Zitaten nur zu bestätigen, was man vor ihnen über "Ideologeme völkischer Landschaftsbindung", "Herstellung des idyllischen Raumes" und "Apologie sinnstiftender Gewalt" in der Freikorps-Literatur entdeckt zu haben glaubte.

Foto: "Selbstschutz Oberschlesien" gegen polnische Usurpatoren, Oppeln 1921: "Ideologeme völkischer Landschaftsbindung"

Walter Schmitz, Clemens Vollnhals (Hrsg.): Völkische Bewegung - Konservative Revolution - Nationalsozialismus. Aspekte einer politisierten Kultur. Thelem (w.e.b. Universitätsverlag & Buchhandlung), Dresden 2006, broschiert, 421 Seiten, 45 Euro.


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