© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Lili Marleen und der Thermopylenpaß
Der Historiker Jörg Koch hat Unterhaltung und Propaganda der NS-Jahre im neuen Medium Radio analysiert
Felix Krautkrämer

Seit mehr als dreißig Jahren produziert und sendet der Truppenbetreuungssender der Bundeswehr, Radio Andernach, ein Programm für die deutschen Soldaten im Ausland. Viele Jahre wurde dies kaum zur Kenntnis genommen. Seit aber die Auslandseinsätze der Bundeswehr an Gefahr und Masse zugenommen haben, steigt auch das mediale Interesse an dem Sender. Gerade zu Weihnachten konnte Radio Andernach den Soldaten im Ausland ein Stück Heimat vermittelten. Selbst das ZDF würdigte in einem Beitrag im vergangenen Dezember seine Brückenfunktion.

Nicht erwähnt wurde allerdings, daß das Bundeswehrradio seinen direkten Vorgänger in einer Institution der Wehrmacht hat, nämlich den Wunschkonzerten für die Wehrmacht. Lange war über dieses Phänomen der NS-Rundfunkgeschichte nur wenig bekannt, und die Publikationen dazu beschränkten sich auf zeitgenössische Schriften oder kleinere Aufsätze. Dieses Mißstands nahm sich 2002 Hans-Jörg Koch in seiner Dissertation "Das Wunschkonzert im NS-Rundfunk" an. Nun liegt seine Arbeit in überarbeiteter Form mit einem Vorwort des Bielefelder Historikers Hans-Ulrich Wehler vor.

Das Buch "Wunschkonzert. Unterhaltungsmusik und Propaganda im Rundfunk des Dritten Reiches" besticht vor allem durch die Sammlung an Quellen zum Thema und seinen reichhaltigen Bildanteil. Koch widmet sich darin nicht nur dem Wunschkonzert für die Wehrmacht, sondern darüber hinaus der allgemeinen Bedeutung des Rundfunks für die Nationalsozialisten. Er zeigt anhand von zahlreichen Zitaten und Tagebucheintragungen die Einstellung des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, zum Medium Rundfunk. Nachdem er es anfangs noch als "modernes Verspießungsmittel" oder auch "Ideal des Spießers" verpönte, erkannte er schon bald seinen wahren propagandistischen Wert. Richtig eingesetzt nämlich war der Rundfunk für eine optimistische Kriegshaltung "genauso wichtig wie Kanonen und Gewehre".

Auch die Geschichte des legendären Volksempfängers, dessen Kürzel VE 301 an die Machtergreifung vom 30. Januar 1933 erinnern sollte, greift Koch auf.

Den zentralen Teil des Buches bildet allerdings das eigentliche Kapitel über das Wunschkonzert und die weiteren Unterhaltungssendungen des Dritten Reiches wie das Volkskonzert oder den Bunten Abend. Koch schildert die Geschichte des Wunschkonzerts für die Wehrmacht, das in seinen 75 ausgestrahlten Sendungen zwischen 1939 und 1941 unzählige Hörer in der Heimat und an der Front erfreute und dessen Popularität durch spätere ähnliche Formate nie wieder erreicht wurde. Entwickelt wurde es bereits 1935 von Heinz Goedecke, der später als Moderator die Seele der Wunschkonzerte bildete. Schlager wie "Lili Marleen", "Tapfere kleine Soldatenfrau" oder "Heimat deine Sterne" haben bis heute nichts von ihrem Charme verloren. Auch die Rubrik "Söhne für die Soldaten", in den Soldaten an der Front über die Geburt ihrer Kinder informiert wurden, gehört zu den unvergeßlichen Momenten der Wunschkonzerte.

Bei aller Fülle an Quellen und Anekdoten mangelt es Koch jedoch an originären Thesen und Erkenntnissen. Die wenigen eigenen Thesen sind darüber hinaus bisweilen mehr als fragwürdig. So behauptet Koch: "Viele Frauen und Mädchen hörten zum erstenmal im 'Wunschkonzert' vom Tod ihres Mannes, Sohnes, Bruders oder Vaters, bevor die offizielle Todesnachricht zugestellt wurde."

Wie Koch zu der absurden Vorstellung kommt, die Wehrmacht hätte persönliche Gefallenenmeldungen über den Rundfunk verbreitet, läßt sich anhand eines bestimmten Ausschnitts eines Wunschkonzerts erklären. Eine Mutter hatte im Haus des Rundfunks angerufen und sich als letzten Gruß für ihren gefallenen Sohn ein Lied gewünscht. Leider zitiert Koch hier nur einen Bericht über das Ereignis, nicht aber den originalen Wortlaut der Sendung. In diesem heißt es unter anderem: "Eine Mutter hat angerufen. Eine dieser vielen Mütter. Ihr Sohn ist gefallen. Sie sagte: Ich habe hier das Notizbuch meines lieben Jungen. Auf der letzten Seite steht ein Lied, das er immer so gerne gesungen hat. Das Lied heißt Gute Nacht, Mutter. Kann ich das Lied noch einmal hören?" Im Anschluß daran erklingt das Lied, vorgetragen durch einen der bekanntesten Interpreten der Wunschkonzerte, Wilhelm Strienz.

Solche Einspieler waren aber eine Seltenheit, und sie wurden ausnahmslos in anonymisierter Form gesendet. Das Wunschkonzert sollte Freude und Zuversicht verbreiten. "Frohsinn braucht das Soldatenherz", wie Goebbels an anderer Stelle richtig zitiert wird.

Als etwas langatmig erweist sich Kochs zwanzigseitige, beinahe laienhaft erscheinende Interpretation ausgewählter Schlagertexte. Hier wäre eine Analyse historisch bedeutenderer Rundfunksendungen geeigneter gewesen. Beispielsweise die legendären Weihnachtsringsendungen des "Großdeutschen Rundfunks". In diesen Konferenzschaltungen waren Front und Heimat wirklich miteinander verbunden. Oder die unsägliche "Thermopylen-Rede" vom 30. Januar 1943, in welcher Hermann Göring den Kampf der 6. Armee in Stalingrad mit dem der Griechen gegen die Perser am Thermopylenpaß im Jahre 480 v. Chr. verglich. Sie ging ebenfalls in die NS-Rundfunkgeschichte ein - wenn auch als wenig geschmackssicherer Tiefpunkt. Beides bleibt bei Koch unerwähnt. Für eine folgende Auflage wären solche Ergänzungen sehr zu empfehlen. 

Fotos: "Söhne für die Soldaten" - Heinz Goedecke verkündet Drillingsgeburt: "Heimat deine Sterne" "Wunschkonzert"-Plakat, 1940

Jörg Koch: Wunschkonzert. Unterhaltungsmusik und Propaganda im Rundfunk des Dritten Reiches. Ares Verlag, Graz 2006, gebunden, 280 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro


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