© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Allen Anlaß zur Zurückhaltung
Streit um Wiener Abtreibungspraxis: Wo beginnt und wo endet eine Tatbeteiligung?
Wolfgang Fenske

Es gibt kein richtiges Leben im falschen", schrieb Theodor Adorno 1951. Welche Kreise diese Erkenntnis ziehen kann, illustriert derzeit eine Posse um den Wiener Bauunternehmer Richard Lugner. Denn seit am Wochenende bekannt wurde, daß in dem von Lugner errichteten Einkaufszentrum "Lugner City" im 15. Wiener Bezirk auch ein "sexualmedizinisches Zentrum" - sprich: eine Abtreibungspraxis - Wohnung nehmen soll, hängt der Haussegen in Österreichs katholischer Kirche schief.

Zunächst ließ der Salzburger Weihbischof Andreas Laun wissen, daß sich Lugner als Vermieter der Praxisräume selbst aus der Kirche ausgeschlossen habe. Sei es versehentlich, sei es absichtlich, von den Medien wurde jedenfalls kolportiert, Lugner habe sich nicht selbst die Kirchenstrafe zugezogen, sondern Laun höchstpersönlich habe den Baulöwen vor die Kirchentür gesetzt. Dieser reagierte prompt und kündigte an, er lasse sich derlei nicht bieten und werde nun seinerseits den Weihbischof verklagen. Zwar klärte sich das Mißverständnis umgehend auf und nahm Lugner seine Klageandrohung zurück, doch hinderte dies den Wiener Erzbischof, Christoph Schönborn, nicht daran, seinerseits zu betonen, daß er es bei aller berechtigten Empörung über die geplante Abtreibungspraxis in der "Lugner City" nicht goutieren würde, wenn sein Mitbruder im Bischofs­amt den Bauherrn exkommunizierte.

Luger replizierte denn auch vorwitzig, selbst "Gusenbauer und Häupl" (Bundeskanzler und Wiener Bürgermeister) müßten dann exkommuniziert werden, hätten sie doch die politischen Voraussetzungen für die nun inkriminierte Abtreibungspraxis geschaffen. Und in der Tat: Nach römischen Bestimmungen werden bei Abtreibungen nicht nur die Täter selbst, sondern auch mittelbar Tatbeteiligte bestraft.

Doch wo beginnt und wo endet eine mittelbare Tatbeteiligung in einer vernetzten Gesellschaft? Und wer definiert das? Wenn Adorno 1951 recht hatte, dann hätte die katholische Kirche Österreichs, die jede klare Linie in dieser Sache vermissen läßt, allen Anlaß zur Zurückhaltung.


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