© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Im Namen der Kinder
Familienpolitik II: Neuer parteiübergreifender Vorstoß für ein Wahlrecht von Geburt an / Verfassungsrichter äußern rechtliche Bedenken
Arnold Steiner

Seit Jahren gibt es immer wieder Vorstöße von Politikern und Organisationen, die ein Wahlrecht für Kinder fordern. Der aktuellste Vorschlag kam nun von einer Gruppe Abgeordneter um die ehemalige Familienministerin Renate Schmidt (SPD), zu der auch der amtierende Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) gehört. Sie fordern, den Menschen in Deutschland ein Wahlrecht von Geburt an einzuräumen. Da die Kinder dies allerdings nicht selbst ausüben können, sollen zunächst die Eltern die Stimmen der Kinder abgeben dürfen. Durch die Neuregelung soll einen Stärkung der Interessen Jüngerer in der überalterten Gesellschaft erreicht werden, sagte Schmidt.

Daß der erneute Vorstoß erfolgreich sein wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Zuletzt war vor zwei Jahren ein Antrag von 47 Abgeordneten gescheitert, die eine entsprechende Forderung stellten. Auch das Bundesverfassungsgericht äußerte sich bereits ablehnend zum Kinderwahlrecht. Für die Karlsruher Richter ist eine Altersgrenze beim Wahlrecht "historisch erhärtet", und es gebe keine "zwingenden Gründe" für eine Aufhebung dieser Grenze.

Da Schmidt zur Zeit des letzten Vorstoßes selbst Familienministerin war, vermutet der saarländische Vorsitzende der Familien-Partei Heinz Dabrock hinter dem erneuten Vorschlag eine plumpe Taktik, um verlorene Wählerstimmen zurückzugewinnen. Gerade Schmidt müsse aufgrund ihrer Vita klar sein, daß der erneute Vorschlag keine erstzunehmenden Realisierungschancen habe, sagte Dabrock, dessen Partei seit Jahrzehnten ein Kinderwahlrecht fordert.

Beim Thema Kinderwahlrecht geht es jedoch nicht nur um politische Kampagnen, sondern auch um juristische Auslegungsmöglichkeiten des Grundgesetztes, die immer wieder kontrovers diskutiert werden. Artikel 20 der Verfassung sieht vor, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Mit dieser Formulierung dürfte jedoch das ganze Volk gemeint sein, also auch die unter 18jährigen, die derzeit rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Dies sehen auch prominente Juristen und Anhänger des Kinderwahlrechts wie Altbundespräsident Roman Herzog so.

Die Problematik des Kinderwahlrechts ergibt sich jedoch daraus, daß die Kinder ihre Stimme zunächst nicht selbst abgeben können. Werden sie bei der Stimmenabgabe durch ihre Eltern vertreten, verletzt dies den Grundsatz der "höchstpersönlichen" Wahl, der ebenfalls im Grundgesetz festgeschrieben steht. Würde man diesen Grundsatz fallenlassen, wäre auch die Gleichheit der Wahl gekippt, da nun bestimmte Personengruppen mehrere Stimmen abgeben dürften. Faktisch wäre dies eine Rückkehr zum Klassenwahlrecht, da Ehepaare mit Kindern mehr Einfluß durch die gehäufte Stimmenabgabe nehmen könnten als - möglicherweise unverschuldet - kinderlose Ehepaare.

Fraglich ist außerdem, ab welchem Alter Kinder die nötige Einsichtsfähigkeit haben, um selbst wählen zu können, und wer sich durchsetzt, wenn sie mit ihrer Stimme nicht den Vorstellungen der Eltern folgen. Wird die Stimme von den Eltern abgegeben, müssen sich auch diese über die politische Richtung einig sein, der sie die Stimme geben wollen. Es ist also eine Abstimmung unter den Eltern nötig, bei der sich im Zweifel nur einer durchsetzen kann.

An diesen Szenarien wird deutlich, wie schwierig die Umsetzung der Forderung nach einem Kinderwahlrecht ist und welche Opfer die im Grundgesetz manifestierte "allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl" bringen müßte. Unabhängig von den Problemen der formalen Umsetzung und den juristischen Fragen, die die Debatte um das Kinderwahlrecht immer wieder aufwirft, müßte Sorge dafür getragen werden, daß die Eltern verantwortungsvoll mit den Stimmen ihrer Kinder umgehen und nicht ausschließlich eigene Interessen verfolgen.

Eine überzeugende Antwort auf dieses Problem können auch die Befürworter des Kinderwahlrechts bislang nicht geben. Dessen Gegner hingegen führen gerade an, daß es grundsätzlich in der Verantwortung des Staates liege und ihm ein übergeordnetes Anliegen sein müsse, eine Politik zugunsten von Kindern und Familien zu machen. Angesichts der politischen Weichenstellung der letzten Jahre müßte sich die Politik dann jedoch fragen, wie viele der möglichen Kinderwählerstimmen sie für eine solche Politik gewinnen könnten.


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