© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Reduzierte Komplexität
Klimabericht: Was der Mensch nicht regelt, regelt die Natur
Volker Kempf

Der Mensch ist mit seinen Versuchen, die Natur zu beherrschen, zu erfolgreich geworden. Die Vermehrung und Ausbreitung der eigenen Art nimmt Ausmaße an, welche die Grenzen des Planeten Erde sprengen. Das entspricht dem Stand noch immer gültiger Erkenntnisse aus den 1970er Jahren. Ein anthropogen erzeugter, extremer Klimawandel, spielte damals noch kaum eine Rolle. Ob es durch menschliche Aktivitäten auf Erden wärmer oder kälter wird, blieb unklar. Das änderte sich in den 1980er und 1990er Jahren. Strittig blieb, ob der Mensch der Hauptverursacher der neuen, extremen Klimaerwärmung ist.

"Sehr wahrscheinlich", also mit mehr als 90 Prozent Sicherheit, sei das anzunehmen, verlautbaren die am 2. Februar präsentierten Ergebnisse des zwischenstaatlichen Weltklimabeirats IPCC. Im Gegensatz zu Prognosen und Szenarien von vor sechs Jahren sei die Diagnose eines extremen Klimawandels durch den Menschen nicht mehr nur an wärmeren Lufttemperaturen zu erkennen, sondern auch an Meßdaten und Statistiken, die man in den vergangenen Jahren zu Meerestemperaturen, Temperaturextremen und Windströmungen gewonnen habe.

Die Zahlen für die zu erwartende Klimaerwärmung im 21. Jahrhundert wurden 2007 etwas nach oben korrigiert: von 1,8 bis 6,4 gegenüber 1,4 bis 5,8 Grad in den Annahmen von 2001. Wenig ändert sich damit an den bislang erwarteten Folgen des anthropogen verursachten Treibhauseffekts. Nur die Forderungen nach "entschlossenen Reaktionen" verschärfen sich.

Das Umweltthema hat sich damit einmal mehr medial und politisch auf Fragen des Weltklimas fokussiert. Das kann man beklagen oder als eine notwendige "Reduktion von Komplexität" (Niklas Luhmann) gutheißen. Fakt ist: Die Grünen zogen 1983 noch als Exoten mit hoher Symbolkraft, nämlich einer aufgeblasenen Erdkugel, in den Deutschen Bundestag ein. Heute benutzt sogar Jacques Chirac demonstrativ Energiesparlampen. Umweltschutz ist heute in Europa ein Politikfeld, das eine Partei mindestens symbolisch besetzen muß, will sie den breiten Zuspruch der Wähler ernten. Lediglich die Schweizer Volkspartei (SVP) will die Lage nicht so dramatisch sehen. Es habe schon früher Klimaschwankungen gegeben, sagte SVP-Sprecher Roman Jäggi laut Basler Zeitung; er erinnerte an schmelzende Gletscher zwischen 1880 und 1910. Die SVP ist laut Jäggi auf jeden Fall überzeugt, daß einseitige Maßnahmen der Schweiz nichts bringen und im Gegenteil der Wirtschaft schaden.

Klimaschutzpolitik kommt der Wirtschaft nicht gut zupaß, so daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Das laut Spiegel teilweise vom Ölkonzern Exxon-Mobil finanzierte American Enterprise Institute hat sogar ein Preisgeld von 10.000 Dollar ausgeschrieben, wenn ein Forscher beweise, daß der Mensch das Klima nicht signifikant erwärme (siehe Meldung Seite 9). Das wird sicher gelingen, denn in sich geschlossene Denksysteme, die einander aber widersprechen, sind leicht zu kreieren. Früher nannte man das Sophistik.

Die Kunst des Zerredens wird nicht abebben. So behaupten Öko-Optimisten, Klimawissenschaftler seien geistig korrupt, weil sie an der Klimaforschung - wie die Ärzte an der Krankheit - verdienen. Daß gerade auch solche Klimaforscher mundtot gemacht wurden, die Studien als zu optimistisch formuliert bemängelten, wird ebenso unterschlagen wie die Tatsache, daß das "Waldsterben" kein Hirngespinst war, sondern dem Wald erst die mühsam durchgesetzte Filtertechnik eine Atempause verschaffte. Wo der Klimawandel zerredet wird, ist dann mit einem Wisch das ganze Umweltthema vom Tisch. Die Sicherung der menschlichen Existenz durch hohe zivilisatorische Ansprüche und Vermehrung der Population kann munter weitergehen. Irgendwann wird auch die Weltbevölkerung abnehmen, und sei es erst bei zwölf Milliarden Menschen.

Der Selbstbetrug, der Wunschwelten am Leben erhält, kennt - anders als der Planet Erde - keine Grenzen. Was der Mensch durch seine Vernunft nicht geregelt bekommt, erledigt die Natur ohne Rücksicht auf Verluste. Rein ökologisch erscheint es vernünftig, daß die materiell anspruchsvolle europäische Bevölkerung nicht mehr wächst. Allerdings vermehrt sich der Rest der Weltbevölkerung munter weiter. Für die Europäer bedeutet das, marginalisiert zu werden. Um so größer müßte das Interesse der EU sein, nicht nur technischen Umweltschutz weltweit zu forcieren, sondern auch den für die Belastung von Ökosystemen wichtigen Faktor Bevölkerungsvermehrung zu thematisieren. Adressaten einer Bevölkerungspolitik für Natur und Umwelt könnten die Völker mit einer zumindest bestandserhaltenden Geburtenrate sein, also die Franzosen mit 2,1 Kindern pro Frau ebenso wie die USA, vor allem aber Länder wie die Türkei und der Iran.

Politik lebt davon, Akzente zu setzen und nicht nur wie Umweltminister Sigmar Gabriel ein paar Marktanreize für die alternative Energieerzeugung zu schaffen. Die Beschränkung eines "Kampfes der Kulturen" und eine aktive Bevölkerungspolitik zugunsten der Lebensgrundlagen müssen Hand in Hand gehen. Einer konservativen Politik, die hier keine Brücken schlägt, ist nicht zu helfen.

 

Volker Kempf, Soziologe, ist Vorsitzender der Herbert-Gruhl-Gesellschaft e. V. und Schriftleiter des Jahrbuchs "Naturkonservativ heute".


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen