© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

"Glasauge": Springer blamiert sich mit Satire-Magazin auf welt.de
Weit unter der Gürtellinie
Frank Liebermann

Richtige Glasaugen gibt es schon ein ganzes Weilchen nicht mehr. Für künstlich hergestellte Augen wird heutzutage ein spezieller Kunststoff verwendet. Nur in Entwicklungsländern kommt aufgrund von Armut und mangelnder Technologie Glas für künstliche Augen zum Einsatz.

Entwicklungsfähig ist auch der Humor der neuen Satirerubrik "Glasauge" (www. welt.de/chl/595.html) bei dem ehemaligen journalistischen Schlachtschiff Die Welt. Damit ist das Blatt allerdings nicht alleine. Spiegel-online hat mit seinem Satiremagazin "SPAM" (www.  spiegel.de/spam) ebenfalls den Vorstoß in das fremde Gefilde Satire gewagt. Allerdings liefert hier Martin Sonneborn, ehemaliger Chefredakteur der Titanic, halbwegs gelungene Späße ab. Nicht ganz so erfolgreich ist Die Welt.

Hirnvernageltheit ist hier Programm

Mit "lustigen" Fotomontagen versuchen die Scherzbolde der Welt bekannte Online-Magazine zu kopieren. Einschlägige und oftmals unter die Gürtellinie zielende Seiten wie "Fette Mama" (www. fettemama.org), "Cool-Pix"(www. cool-pix.de) oder "Funfire" (http:// funfire.de) versuchen sich seit Jahren mit unterschiedlichem Erfolg und Geschmack in diesem Genre. Einige Internetmagazine produzieren gelegentlich Spitzenleistungen, andere vegetieren jedoch auf einem depperten Niveau vor sich hin.

Allerdings schafft es die Welt spielend, die vielen Schlechten noch zu unterbieten. Eine kurze Kostprobe aus dem Papstkalender: "Auf dem Deckblatt des Kalenders präsentiert der Papst sich erstmals mit seiner Familie. 'Verhütung war bei uns nie ein Thema - wir sind katholisch', sagt Gattin Claudia. Sie will ihrem Mann noch viele kleine Päpste und Päpstinnen schenken."

Wem das nicht reicht, der blättert weiter und sieht den Pontifex als muskelprotzende, braungebrannte Bodybuilderin: "Auch körperlich hält sich der Papst fit, wie dieses Bild beweist. Gerüchte, er sei sogar beim Casting für den neuen James Bond-Film in der engeren Wahl gewesen, dementiert der Vatikan nicht. Die Produzenten entschieden sich aber dann doch für Eva Green als Bond-Girl."

Doch es ist nicht nur der Papst, der da unterirdisch durch den Kakao gezogen wird. Der Bergsteiger Reinhold Messner freut sich über seinen Nachwuchs ("von Yeti vergewaltigt"), und Bundespräsident Horst Köhler wird in die Nähe der Pädophilie gerückt.

Wer so etwas lustig findet, konsumiert vielleicht regelmäßig die Comedy-Eigenproduktionen von Sat.1. Jahrelanger Abonnent der Welt kann er dagegen nicht sein.

"Draußen nur Kännchen", nennt sich ein spaßiges Weblog. Alleine der Titel ist einmal mehr Indikator für den transusigen Humor der Welt. Schon mindestens hundert Schüler-Teenie-Punkbands nannten sich so, ein Buch über die deutsche Küche trägt diesen Titel, ein Kabarettprogramm auch - nicht zu vergessen der gemischte Chor aus dem schönen Münster. Vielleicht mögen sich die Glasaugen auch gedacht haben, was schon so weit verbreitet ist, kann nicht falsch sein? Treffenderweise lautet der Name des Schreiberlings dann auch Oberkellner.

Hirnvernageltheit ist hier Programm. Beispielsweise lassen sich in diesem Weblog angestaubte Zoten wie die folgende finden: "Den kleinen Berliner im christlichen Ferienheim fragt eine Diakonisse: 'Was mag das wohl sein? Es hat einen buschigen Schwanz, Nußaugen und hüpft von Ast zu Ast?' Der Junge antwortet: 'Mein Verstand sagt mir, det is ein Eichhörnchen, aba wie'ck den Laden hier kenne, wird et wohl wieda det liebe Jesulein sein.'"

Und wie kommentieren die Leser der Zeitung so einen Lacher? Sind die Welt-online-Leser besser als die Schreiberlinge? Wer die Kommentare auf die Blogs liest, kommt ins Grübeln: "Nein, das ist unser Regierender!"schreibt da einer und denkt an Berlins Bürgermeister. "Der sucht nach einer Mehrheit für seine Regierung. Irgendwo hat er doch die fehlenden Stimmen verbuddelt! Aber solange der nur auf den Bäumen sucht und nicht auf den Boden der Tatsachen kommt, muß uns das ja nicht stören."

Nun soll und darf Satire ja in erster Linie gesellschaftliche Mißstände anprangern - fragt sich nur, welche das sind. Selbst der in den fünfziger Jahren stehengebliebene Komiker Fips Asmussen verzichtet mittlerweile auf solch auf schwachen Beinen stehenden Kalauer.

Derartiger Humor wäre eher bei der "Bild" zu erwarten

Vermutlich mag darüber die Welt-Redaktion lachen und auch mancher frühpubertierende Fünftkläßler. Aber eigentlich würde man solche Art von Humor doch eher beim anderen Springer-Blatt Bild erwarten.

Schon fast lustig ist es, wenn sich der Oberkellner über die neuesten Ideen unserer werten Volksvertreter ausläßt: "Nach dem Willen des Bundestags sollen Gruppen wie Aerosmith oder die Pet Shop Boys demnächst 'Luftschmitz' und 'Die Haustierladen-Jungs' heißen".

Erbärmlich ist das Gemisch aus Pseudo-Regelverletzung und als Frechheit kaschierter Anbiederung, die selbst den neu entdeckten Prekarierern zu dümmlich sein dürfte. Wenigstens ist dieser Teil groß mit Satire gekennzeichnet. Ansonsten wäre sie nur schwer als solche erkennbar.

Es ist nur zu hoffen, daß der selige Axel Cäsar Springer auf seiner himmlischen Wolke keinen Internetanschluß hat und diesen grauenerregenden Schwachsinn nicht ertragen muß. Falls doch, wird er vermutlich bitter weinen.


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