© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

Eine Parteiarmee wird zum Faktor der Landesverteidigung
Der Streit um die Landesverteidigung gegen polnische Aggressionspläne 1932 stärkte die Bedeutung der paramilitärischen SA und der NSDAP
Felix Krautkrämer

Die jüngst durch den Historiker Stefan Scheil veröffentlichten und bislang unbekannten Briefe des polnischen Außenministers Józef Beck über polnische Kriegspläne 1932 aus dem Fundus des österreichischen Außenministeriums (JF 04/07) könnten zum Anstoß einer Neubewertung der Rolle Polens in der Zwischenkriegszeit werden. Aus ihnen geht die eindeutige Absicht Polens hervor, einen Angriff gegen Deutschland zu führen. Welchen Einfluß die drohende polnische Kriegsgefahr auch auf die Entwicklung der deutschen Innenpolitik der frühen dreißiger Jahre hatte, sollte dabei auf keinen Fall unterschätzt werden.

Die wachsende Zahl der Nachrichten über polnische Kriegsabsichten, vor allem in den Wochen vor und während der Wahl des Reichspräsidenten im Frühjahr 1932, wurden von der Führung des 100.000-Mann-Heeres der Reichswehr mit wachsender Besorgnis registriert. Die Frage des Grenzschutzes in den deutschen Ostgebieten erhielt dadurch neue Priorität. Da es aber gerade in diesen Gebieten in den vorangegangenen Jahren ein Erstarken der Nationalsozialisten gegeben hatte, stand für die Reichswehrführung fest, daß effiziente Landesverteidigungsmaßnahmen nur in Zusammenarbeit mit der NSDAP beziehungsweise ihren Sturmabteilungen (SA) getroffen werden konnten. Das war keine Frage der Sympathie für die Nationalsozialisten seitens der Reichswehr, sondern entsprang rationellen Überlegungen.

Die SA hatte, ohne die Berücksichtigung der SA-Reserve, zu der Zeit eine ungefähre Stärke von 225.000 Mann. Zudem befanden sich in ihren Reihen zahlreiche Männer, die bereits als Freikorpsführer während der drei Polnischen Aufstände zwischen 1919 und 1921 maßgeblich an der Abwehr der polnischen Kräfte in Oberschlesien beteiligt gewesen waren. Namen wie Manfred von Killinger und Peter von Heydebreck stehen hierfür nur exemplarisch.

Doch ein Befehl Hitlers machte eine Beteiligung der SA am Grenzschutz vorerst unmöglich. Hitler hatte im Dezember 1928 per Parteibefehl verfügt, daß kein Nationalsozialist an militärischen Übungen teilnehmen dürfe, da darin eine Unterstützung des Systems bestände, welches es schließlich zu überwinden gelte.

Die neuerliche Aktualität der Grenzschutzfrage führte jedoch im März 1931 zu einer Annäherung zwischen Reichswehr und SA, vorrangig durch den Stabschef der SA Ernst Röhm und den offiziellen politischen Berater des Reichswehrministers Wilhelm Groener, Generalmajor Kurt von Schleicher. Röhm kam so seinem primären Ziel, der ernsthaften Anerkennung der SA als Wehrverband, einen entscheidenden Schritt näher. Von Schleicher hoffte, daß Hitler sein Betätigungsverbot für Nationalsozialisten im Grenzschutz aufheben würde.

Polens Aggression schwächte Stellung der Reichsregierung

Doch die SA-Führer verweigerten sich der Beteiligung am Grenzschutz. Der sozialdemokratische Ministerpräsident von Preußen, Otto Braun, warf Hitler vor, er habe während einer Veranstaltung im April 1932 verkündet, daß er seine Kämpfer nicht für das System opfern wolle, sondern die Grenzen erst dann schützen werde, wenn zuvor die Träger des Systems vernichtet seien. Bereits im März hatte die preußische Regierung Schriftstücke von NS-Organisationen beschlagnahmt, aus denen hervorging, daß sich SA-Einheiten im Grenzschutz bei einem polnischen Einmarsch abwartend verhalten sollten. Ziel dieser vereinzelten Pläne war es, durch ein Versagen des Grenzschutzes die Fähigkeit der Reichsregierung hinsichtlich der Landesverteidigung in Frage zu stellen.

Dies führte am 13. April 1932 zu einem Verbot der militärähnlichen Organisationen der Nationalsozialisten - SA und SS samt Nebenorganisationen - unter anderem wegen des Verdachts des Wehr- und Landesverrats. Doch liefen maßgebliche Personen im Reichswehrministerium und im Umfeld des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg Sturm gegen das SA-Verbot. Letztendlich mußte General Groener auf Druck seiner eigenen Untergebenen, aber auch Hindenburgs, am 12. Mai als Reichswehrminister zurücktreten. Von Schleicher hatte gedroht, daß er und verschiedene Generale ihren Abschied einreichen würden, sollte Groener nicht abtreten.

Dieser Vorfall schwächte das ohnehin angeschlagene Kabinett Brüning. Nur kurze Zeit später, am 30. Mai, erklärte Heinrich Brüning seinen Rücktritt als Reichskanzler. Am gleichen Tag stellte der Oberreichsanwalt das gegen die SA eingeleitete Verfahren wegen Landesverrats mit der Begründung ein, daß keines der vorhandenen Schriftstücke den Vorwurf bestätige.

Brünings Nachfolger Franz von Papen schloß, initiiert durch den neuen Reichswehrminister von Schleicher, einen Pakt mit Hitler, der eine Wiederzulassung der SA und SS sowie die Auflösung des Reichstages beinhaltete, wenn die NSDAP im Gegenzug die neugebildete Regierung toleriere. Bei den anschließenden Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 konnte die NSDAP ihren Stimmenanteil annährend verdoppeln und wurde mit 37,3 Prozent die mit Abstand größte Fraktion im Reichstag. Es war der Auftakt zum Untergang der ersten Deutschen Republik.

Sicherlich kann man Polen nicht die Schuld für den Aufstieg des Nationalsozialismus geben. Seine seit Beginn der Weimarer Republik betriebenen systematischen Grenzverletzungen und teils unverhohlen gezeigten Kriegsabsichten schwächten aber die jeweils amtierende Reichsregierung in Handlung und Ansehen und legitimierten die Existenz zusätzlicher Wehrverbände, die später bei der Beseitigung der Republik eine nicht unerhebliche Rolle spielen sollten.

Foto: SA-Männer aus Tilsit treffen zum Reichsparteitag am Bahnhof ein, Nürnberg 1933: Ersatzheer für die Landesverteidigung


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen