© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

Mit Odysseus um die Häuser ziehen
Seinen Lesern mutete er viel zu: Vor 125 Jahren wurde der irische Schriftsteller James Joyce geboren
Silke Lührmann

Alljährlich am 16. Juni steigt in Dublin ein großes Straßenfest. Erstmals zum 50. Jahrestag 1954 feierte die irische Hauptstadt am "Bloomsday" sich selbst: diesmal nicht im Gedenken an den blutigen Osteraufstand von 1916, sondern als Schauplatz für den sicher nicht meistgelesenen, womöglich aber berühmtesten Roman des 20. Jahrhunderts, James Joyces "Ulysses" (1922).

Bei aller Derbheit der Sprache, die er dem Volk vom Maul abschaute, wenn es ihm ins avantgardistische Konzept paßte, war Joyce kein Mann für die Massen; bei aller Haßliebe zu Irland alles andere als ein der keltischen Scholle verhafteter Heimatdichter. Die epische Handlung seines Hauptwerks ist bekanntlich in zwei Sätzen erzählt: "Mann macht einen Spaziergang durch Dublin. Es passiert nicht viel". Der Stadt, in die er zuletzt 1912 zurückkehrte, schrieb er zehn Jahre später mit Hilfe eines Adreßverzeichnisses von 1904 einen Treueschwur. Zukünftige Archäologen, so soll er es gewollt haben, bräuchten nur ein Exemplar von "Ulysses", um das damalige Stadtbild originalgetreu zu rekonstruieren. Mehr denn authentische Blaupause, taugt das Buch auch als Reiseführer zu Joyces persönlichen Kultstätten: An jenem 16. Juni 1904, so hat es die Literaturgeschichte überliefert, unternahm James einen denkwürdigen Ausflug mit dem Dienstmädchen Nora Barnacle, von nun an seine lebenslange Gefährtin.

Dieses doppeldeutige Dublin wiederum gerät ihm zur Spielwiese stilistischer Sperenzchen. Stephen Dedalus, Leopold und Molly Bloom sind Karikaturen homerischer Sagengestalten. Die Unverfrorenheit, mit der Joyce sämtliche Regeln des Schreibhandwerks bricht, ein Kapitel so blumig wie einen Groschenroman, ein anderes als profanen Katechismus in Frage-und-Antwort-Form abfaßt, ließe ihm bis heute kein Creative writing-Tutor durchgehen.

Überdies gebührt ihm die Ehre, mit "Finnegans Wake" (1939) das unleserlichste Meisterwerk der Weltliteratur geschrieben zu haben, eine siebenhundertseitige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Geisteswissenschaftler, die selbst Modernistenkollegen wie Ezra Pound als Zumutung erachteten. Die vollständige "deutsche" Übersetzung liegt seit 2002 vor: "Finnegans Wehg. Kainäh ÜbelSätzZung des Wehrkeß fun Schämes Scheuß", eine Art Auferstehungsgeschichte mit viel Whisky, nennt sie ihr Urheber Dieter H. Stündel.

James Joyce kam am 2. Februar 1882 im Dubliner Vorort Rathgar zur Welt. Vom Vater, der trotz einer Anstellung bei der städtischen Steuerbehörde 1891 Insolvenz anmelden mußte, erbte er die Veranlagung zur Trunksucht und chronischen Geldnot. Statt der erhofften Berufung zum Priesteramt entwickelte er auf dem Jesuitenkolleg eine gesunde Skepsis gegenüber der katholischen Kirche: Stoff genug für einen Bildungsroman, in dem der Künstler sein Alter ego per Federstrich zum Helden schlug. Veröffentlicht wurde "Stephen Hero" erst postum 1944, inspirierte aber das 1916 erschienene "A Portrait of the Artist as a Young Man", Joyces Nachruf auf die eigene Jugend.

So unerträglich war ihm das kleinbürgerliche Milieu seiner Kurzgeschichtensammlung "Dubliners" (1914), daß dem studierten Romanisten und Germanisten nur die Flucht auf den Kontinent blieb - zunächst 1903 nach Paris, im Folgejahr nach Zürich, dann Triest, wo man Wunder und Weihen wohl auch nicht täglich als Inhalt hat, gewiß aber den Reiz der Fremde vor der Tür und das Pathos des Exils im Herzen. Mal der eine, mal die andere seiner neun Geschwister leistete ihm und Nora Gesellschaft, für die sich das Abenteuer Ausland mühseliger gestaltete als für ihren weltmännisch-weltfremden Geliebten.

Joyce war weder der erste noch der letzte mittellose Muttersprachler, der als Englischlehrer ein dürftiges Auskommen fand, aber glücklicher als die meisten, eine Mäzenin von seinem schriftstellerischen Talent zu überzeugen: Ab 1915 unterstützte ihn die englische Feministin und Verlegerin Harriet Shaw Weaver.

Während sein Bruder und langjähriger Leidensgenosse Stanislaus im Ersten Weltkrieg von den Österreichern interniert wurde, konnte James mit Nora und ihren zwei Kindern rechtzeitig nach Zürich umsiedeln. 1920 zog die Familie nach Paris, wo Joyce seine beiden großen Romane schuf, immer wieder unterbrochen von Aufenthalten in der Schweiz, um seine fortschreitende Erblindung und die Schizophrenie seiner Tochter Lucia behandeln zu lassen. Am 13. Januar 1941 erlag er in einer Zürcher Klinik Komplikationen infolge einer Magenoperation.

James Joyce, Ezra Pound, Ford Madox Ford, John Quinn (v.l.n.r.) 1924 in Paris: Pathos des Exils


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