© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

Mit einem Bein im Zuchthaus
Geschichtsdeutung II: Deutsche Strafgesetze gelten weltweit als Vorbild zur Einschränkung von Wissenschaftsfreiheit
Andreas Wild

Schlimme Vorbilder sind oft die attraktivsten. Daß man die "Leugnung" bzw. "Verharmlosung" des Holocaust in Deutschland unter schwere Strafe gestellt hat, wirkt inzwischen auf viele geborene Strafverfolger in vielen Ländern wie ein Honigtopf - und das nicht nur in Europa, sondern weltweit. Immer mehr historische Leugner und Verharmloser werden als potentielle Gefängnisinsassen ins Auge gefaßt. Geschichtsforschung, das ist jetzt schon absehbar, wird bald zu einem einzigen Hindernislauf zwischen unzähligen Verbotstafeln. Wer künftig Geschichte studiert, steht schon mit einem Bein im Zuchthaus.

In der Ukraine ist soeben die "Leugnung/Verharmlosung" des sogenannten Holodomor, nämlich der in den dreißiger Jahren von Stalin künstlich herbeigeführten Hungersnot mit etwa sieben Millionen Opfern, verboten worden. In Frankreich hat das Parlament beschlossen, die "Leugung/Verharmlosung" des Völkermords an den Armeniern in der Türkei zu verbieten. In Ruanda wird die "Leugnung/Verharmlosung" des Völkermords an den Tutsis verfolgt.

Menschenrechtsgruppen in den USA arbeiten eifrig daran, die "Leugnung/Verharmlosung" des Völkermords an den Indianern ("First Nation") kriminalisieren zu lassen. In Spanien wollen ähnliche Gruppen die "Leugnung/Verharmlosung" des Völkermords an den Murillos und Inkas bestraft sehen, in Australien die "Leugnung/Verharmlosung" des Völkermords an den Aborigines, in Neuseeland die "Leugnung/Verharmlosung" des Völkermords an den Maoris.

Wo mag das alles enden? Sollte man sich nicht, der Einfachheit halber und im Sinne der Globalisierung der Wissenschaft, so schnell wie möglich auf einen generellen Leugnungsfall einigen, der alle übrigen einschließt? Vor etwa 100.000 Jahren hat bekanntlich der homo sapiens, also wir alle, Völkermord an den Neandertalern begangen - ein Urverbrechen, zu dessen Leugnung wohl kaum jemand gestimmt sein dürfte. Die paar Anthropologen, die wahrscheinlich trotzdem leugnen würden, wären von der demokratischen Gesellschaft leicht zu ertragen. Anderthalb Jahre Gefängnis für jeden von ihnen reichten aus.


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