© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

"Immer weiter abwärts"
Migranten töten in Berlin beinahe einen Polizisten. Caroline Mergen* kennt die Stimmung der Beamten
Moritz Schwarz

Frau Mergen*, "es war grauenhaft", "völlig enthemmt", "soviel Haß habe ich noch nie erlebt", "da war die Bereitschaft, ihn totzuschlagen", so lauten die Zeugenaussagen im Falle des spektakulären Angriffs mit fast tödlichem Ausgang ausländischstämmiger Jugendlicher auf einen Polizisten letzte Woche vor einer Schule in Berlin. Sie arbeiten mit Berliner Polizisten zusammen. Wie ist die Stimmung an der "Basis"?

Mergen: Die Beamten sind völlig frustriert. In dem genannten Fall eskalierte die Gewalt von der Stufe der Körperverletzung zum versuchten Totschlag offenbar erst, als den Jugendlichen klar wurde, daß der Mann in Zivil ein Polizist ist. Das heißt, es ging gezielt gegen ihn als Beamten! Nach Darstellung der Zeugen ist er nur deshalb noch am Leben, weil einerseits ein sich nähernder Streifenwagen mit Martinshorn die Täter aufschreckte und andererseits beherzte Schüler den Moment nutzten, um den Bewußtlosen ins Schulgebäude zu ziehen. Nach Zeugenaussagen haben die Täter mit einer Zwei-Meter-Eisenstange auf das Opfer eingeschlagen. Laut Berichten soll bereits ein Ohr halb abgerissen gewesen sein. Wer weiß, was ohne die nahenden Kollegen noch geschehen wäre? Der Berliner Tagesspiegel schreibt: "Die Meute wollte töten."

Zunächst lautete die Anklage dennoch nur auf Körperverletzung.

Mergen: Das ist es, was die Beamten so fertigmacht. Sie sind nicht nur deshalb so frustriert, weil sie tagtäglich Haß und Gewalt der meist muslimischen Migranten an vorderster Front ausgesetzt sind, sondern weil sie von Amtsseite keine Unterstützung bekommen.

Allerdings hat der Berliner Polizeipräsident dem Opfer bereits seine Solidarität bekundet.

Mergen: Das hat er auch schon im Herbst so gehalten, als der Angriff auf Polizisten im Berliner Wrangelkiez bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Die Wahrheit ist allerdings: Das geschieht nur bei spektakulären Anlässen. Im Alltag sieht das anders aus. Daß in dem aktuellen Fall erst nach öffentlicher Kritik wegen versuchten Totschlags ermittelt wird, ist doch ein beredtes Zeichen. Häufig haben die Beamten sich zudem nach Einsätzen mit dem Vorwurf des "Rassismus" herumzuschlagen. Daß sie diese - meist ja gegenstandlosen - Verfahren über sich ergehen lassen müssen, macht ihnen sehr zu schaffen. Denn die Polizisten erleben dabei das tiefe gesellschaftliche Mißtrauen, die deutsche Mehrheitsgesellschaft der latenten Fremdenfeindlichkeit zu verdächtigen. Sie spüren die unausgesprochen zum Ausdruck kommende Tendenz, im Zweifel nicht den Beamten, sondern eher den "Bürgern mit Migrationshintergrund" zu glauben. Die Öffentlichkeit weiß von diesem Problem der Beamten zu wenig, denn sie schaut ja nur bei spektakulären Fällen hin, und da sieht sie dann die Polizeiführung an der Seite der Einsatzbeamten. Daß der Alltag, der ja nicht im medialen Rampenlicht steht, anders ist, bekommt der Bürger nicht mit.

Sie sprechen in Zusammenhang mit der Praxis der Polizeiführung von "Vertuschung".

Mergen: Vorfälle wie der in Berlin werden unter "Jugendkriminalität" rubriziert; hier etwa sind die Täter zwischen 14 und 17 Jahre alt. Ein entscheidendes Merkmal verschweigt der Polizeipressebericht allerdings: die ausländische bzw. moslemische Herkunft der jugendlichen Türken und Araber. Wie Sie wissen, hat das Methode.

Auch viele Medien verschweigen das gezielt.

Mergen: Es ist kein Geheimnis, daß man der Öffentlichkeit mit politischer Absicht diese Information vorenthält und den Vorgang als gewöhnliches Gewaltdelikte klassifiziert zu den Polizeiakten nimmt.

Warum ist das so bedeutend?

Mergen: Weil der muslimische Hintergrund eine entscheidende Rolle spielt. Der Tagesspiegel weist darauf hin, daß die Gewalt "nicht von polnischen oder vietnamesischen Jugendlichen ausgeht, die in großer Anzahl in Berlin leben". Tatsächlich spielt nämlich die patriarchalische, gewaltorientierte und durch den Koran religiös legitimierte Lebenswelt der islamischen Gesellschaft eine erhebliche Rolle.

Aber gerade fromme Muslime lehnen das Gebaren dieser Jugendlichen besonders ab.

Mergen: Ich spreche nicht vom Islam als Religion, sondern als einem sozialen und kulturellen Milieu. Denn zum Beispiel das Problem der Gewalt ist in der islamischen Familie nicht als ein Rechtsverstoß diskreditiert wie Gewalt in deutschen Familien, sondern als eine systemimmanente Größe. Die Eltern, die sie ausüben, müssen sich ihrem Prinzip selbst unterwerfen: Denn sie wissen, nur dann werden sie als Eltern "mit Ehre" akzeptiert.

Die Problemformel heißt also nicht "sozial desorientiert", sondern "muslimisch orientiert"?

Mergen: Man muß sich klarmachen, wie die islamische Familie funktioniert. Frauen etwa sind nur gesellschaftsfähig, wenn sie einen männlichen Vormund, einen "Wali", haben. Beherrscht wird die Familie durch den Patriarchen, in der Regel der Vater, dem die jüngeren Männer als Spione und Vollstrecker dienen. Sie kennen das von den Ehrenmorden: Der Familienrat beschließt den Tod der Tochter, ein Sohn wird mit der Exekution beauftragt, der Rest der Familie ist juristisch nicht zu belangen. Diese Struktur bildet das Rückgrat des autoritären Patriarchats in der islamischen Familie. Das Auftreten der islamischen Jugendlichen in der nicht-islamischen Öffentlichkeit kann man als Externalisierung dieser durch die autoritäre, ehrbezogene Familienstruktur vermittelten Werte verstehen. Was nicht heißt, daß die Familie die Straßengewalt der Sprößlinge billigen würde. Polizei, Politik und Medien leugnen aber diese Zusammenhänge und stellen die Gewalt als inhaltslose Verwahrlosung dar.

Welchen Sinn haben also Ihre Schulungen, die Sie mit den Beamten zum Thema Islam und muslimische Einwanderer durchführen?

Mergen: Wir vermitteln den Beamten Kompetenz in Fragen islamischer Soziokultur. Das ist hilfreich, löst aber natürlich ihre Probleme im Alltag auch nicht. Gewalt verschwindet nicht, nur weil man ihre Ursachen versteht. Aber immerhin empfinden unsere Teilnehmer die Seminare im Gegensatz zu der "multikulturell", "interkulturell" und "interreligiös" ausgerichteten Grundlagenvermittlung der Polizeibehörden als konstruktiv. Kommentar eines Beamten: "Hier lernen wir die Theorie zu unserer Praxis."

Was denken die Beamten über diese offiziellen Leitlinien?

Mergen: Die Beamten, mit denen ich zusammenarbeite, betrachten sie ganz überwiegend als völlig gescheitert. Sie entsprechen nicht im geringsten ihrer Alltagswirklichkeit. Das Problem ist, daß ihre Vorgesetzten, die Polizeiführung, von der Politik abhängig sind, die bekanntlich - selbst die CDU - das Leitbild der multikulturellen Gesellschaft verfolgt.

Wie sieht die Lösung das Problems aus?

Mergen: Es wird nicht funktionieren, das Problem mit den Mitteln zur Bekämpfung von Jugendgewalt zu lösen: sprich mehr Freizeit- und Betreuungsangebote. Das kann das Problem mildern, aber solange der kulturelle Aspekt außer Betracht gelassen wird, bewegen wir uns weiter die Abwärtsspirale hinab.

Also hat der umstrittene Autor Udo Ulfkotte mit seiner Warnung vor einem kommenden "Krieg in unseren Städten" doch recht?

Mergen: Das Problem der islamischen Gesellschaft ist, daß es dort kein Verständnis für individuelle Haltungen gibt. Jeder, der die Werte der Umma hinterfragt, wird als Abweichler betrachtet und mindestens separiert. Diese Leute treten dann über ins westliche Lager - nehmen Sie als Beispiel Necla Kelek oder Seyran Ates -, sie haben damit aber keine Stimme mehr im islamischen Lager. Ich sehe also nicht, daß es zu einer allmählichen Assimilation kommt. Bei Einzelnen und Minderheiten ja, aber nicht bei der Mehrheit. Daher befürchte ich, werden die Konflikte zunehmen und leider dürften sich die Warnungen Udo Ulfkottes als nicht unbegründet erweisen.

 

Caroline Mergen* Die Diplom-Soziologin arbeitet unter anderem als Beraterin für Berliner Polizisten. In freier Trägerschaft schult sie Beamte zum Thema Islam und in Fragen des soziokulturellen Kontexts der muslimischen Einwanderergesellschaft Mergen* möchte anonym bleiben.

*Hinweis: Name von der Redaktion geändert.

Zum Thema Straßengewalt ausländischstämmiger Jugendlicher veröffentlichte die JF in den letzten Monaten wiederholt Interviews mit anonymisierten Gesprächspartnern. Wir weisen darauf hin, daß dies auf ausdrücklichen Wunsch der Interviewten aus Angst vor Repressalien geschieht. Die Redaktion

 

Der Überfall von Berlin-Lichtenrade: Am 19. Januar verlangten fremde Jugendliche Zutritt zu einer Schulfeier. Als sie die Ordner attackierten, griff der 42jährige Kriminalhauptkommissar Michael M. ein, der als Vater eines Schülers privat vor Ort war, und zückte seinen Dienstausweis. Daraufhin eskalierte die Situation: 12 bis 15 Jugendliche fielen über M. her und versuchten offenbar, ihn totzuschlagen. Sieben Täter - mit deutschem Paß und moslemischer Herkunft - wurden gefaßt. Obwohl die Schule nicht in einem Problembezirk, aber gegenüber einer Polizeistation liegt, war die Feier durch zwei weitere Zivilbeamte und einen Mannschaftswagen gesichert.

 

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