© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

Frisch gepresst

Kulturtheorie. Da sich inzwischen fast alle geisteswissenschaftlichen Fächer "kulturtheoretisch" gewanden, ist an einschlägigen Einleitungen kein Mangel. Wolfgang Müller-Funk versucht den Einstieg mit Hilfe einer, wie es bei den Juristen heißen würden, "Fallsammlung" zu erleichtern. "Einführung in die Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften" untertitelt der Wiener Germanist daher seine "Kulturtheorie" (A. Francke Verlag, Tübingen/Basel 2006, 336 Seiten, broschiert, 18,90 Euro). Den Bogen spannt er von T. S. Eliots katholisch-abendländisch grundiertem Kulturgeplauder über Georg Simmels nur scheinbar feuilletonistisches Reflektieren über Geld und Mode bis zu den unvermeidlichen französischen Diskurs-Platzhirschen Michel Foucault, Roland Barthes und Pierre Bourdieu. Bemerkenswert, daß der in deutschen Seminaren seit Jahren angebetete Ernst Cassirer bei Müller-Funk, der die Defizite seiner rationalistisch verengten Kulturphilosophie hervorhebt, arg schlecht wegkommt.

Ulrich Crämer. Sozialisiert in der Deutschen Akademischen Gildenschaft, fand der junge Geschichtsstudent Ulrich Crämer rasch Zugang zur Ideenwelt der Konservativen Revolution. Im Gegensatz zu anderen KR-Anhängern wechselte er jedoch schon kurz vor 1933 ins nationalsozialistische Lager, was dann der akademischen Karriere nach der "Machtergreifung" gehörigen Auftrieb gab. 1940 erklomm er in München mit 33 Jahren, ohne ein "großes" Werk geliefert zu haben und sogar "belastet" mit einem "jüdischen Bluteinschlag", einen der angesehensten Lehrstühle für Mittlere und Neuere Geschichte. Nach 1945 wurde ihm dieser rasante Aufstieg zum Verhängnis, indem der Entlassung keine Wiedereinstellung folgte. So bruchlos wie gemeinhin behauptet stellt sich die "Elitenkontinuität" zwischen Nationalsozialismus und Adenauer-Republik also gar nicht dar. Diesen Bruch in Crämers Biographie zu verstehen, ist eines der vielen Verdienste, die das Studium der Dissertation Karsten Jedlitschkas an der Ludwig-Maximilians-Universität München lohnen. Dank beeindruckender Beherrschung der wissenschaftshistorischen Forschung gelingt es Jedlitschka, die Abfolge von drei politischen Systemen in einem deutschen Intellektuellenschicksal zu spiegeln (Wissenschaft und Politik. Der Fall des Münchner Historikers Ulrich Crämer 1907-1992, Duncker & Humblot, Berlin 2006, broschiert, 482 Seiten, 96 Euro).


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