© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

Blind, taub und stumm
"Johnny zieht in den Krieg"
Martin Lichtmesz

Einen wirksamen Antikriegsfilm zu drehen, ist im Grunde ein Ding der Unmöglichkeit. Die realistische Darstellung von Greueltaten ist kein Garant für eine abschreckende Wirkung, sondern bewirkt oft das Gegenteil. 1924 versuchte Ernst Friedrich diesem Dilemma zu entkommen, indem er in seinem Buch "Krieg dem Kriege" Bilder von grotesk entstellten Soldaten abdruckte, also weniger die Gewalt selbst als ihre Folgen zeigte. Auf ähnliche Weise näherte sich Regisseur und Autor Dalton Trumbo dem Phänomen Krieg: "Johnny zieht in den Krieg" (Johnny Got His Gun, USA 1971) ist der vielleicht einzige authentische Antikriegsfilm, den es gibt.

Der junge amerikanische Soldat Joe (Timothy Bottoms, bekannt als George-Bush-Darsteller in der Serie "That's my Bush!") wird im Ersten Weltkrieg auf grauenhafte Weise verstümmelt - ohne Arme und Beine, das Gesicht nur mehr eine von einer Maske bedeckte fleischige Öffnung, in der Ernährungs- und Beatmungsschläuche stecken, dazu blind, taub und stumm ist er nicht mehr als ein lebender Torso mit Bewußtsein. Während die Ärzte ihr Bestes geben, seinen Leib am Leben zu halten, hört allein der Zuschauer die unausgesprochenen Gedanken Joes, der allmählich seine alptraumhafte Lage begreift. Die schwarzweißen Krankenzimmersequenzen werden unterbrochen von farbigen Fieberträumen. Joes Kindheit, seine Eltern, seine erste Liebe, die letzten Tage vor dem Einrücken tauchen wieder vor ihm auf und mischen sich mit surrealen Szenen - so erscheint ihm Jesus Christus (Donald Sutherland!), der die gefallenen Soldaten mit einem Zug ins Jenseits fährt. Eine mitleidige Krankenschwester versucht, über Berührungen mit ihm zu kommunizieren. Doch Joe wünscht nichts mehr als den Tod ...

Dalton Trumbo war bereits ein bekannter Drehbuchautor, als er 1939 den Roman "Johnny Got His Gun" veröffentlichte. Der kompromißlose Pazifismus des Buches wurde in den USA vor allem von den Isolationisten begrüßt. Trumbo, der Sympathisant und ab 1943 Mitglied der Kommunistischen Partei war, änderte seine Haltung erst mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion und stellte sein Talent der Kriegspropaganda zur Verfügung. Bei Ausbruch des Kalten Krieges wurde auch Trumbo zur Zielscheibe der antikommunistischen Hexenjagd. Als einer der berühmten "Hollywood Ten" verweigerte er die Aussage vor Senator Joseph McCarthys Komitee für unamerikanische Tätigkeiten. Diese Standfestigkeit brachte ihm Gefängnis und berufliche Ächtung ein. Seine unter Pseudonym verfaßten Drehbücher hatten ironischerweise großen Erfolg und gewannen sogar zweimal den Oscar. 1960 erschien sein Name für Stanley Kubricks "Spartacus" und Otto Premingers "Exodus" wieder auf der Leinwand.

Die Verfilmung seines eigenen Romanes ist Trumbos einzige Regiearbeit. Entstanden ist ein faszinierender, aber schwer verdaulicher Streifen, der vielleicht in Vergessenheit geraten wäre, hätten nicht Metallica 1988 Ausschnitte daraus für einen Videoclip verwendet. Damit war der Kultstatus von "Johnny zieht in den Krieg" ein für allemal gesichert. 


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