© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

Das Lachen nach dem Martyrium
Oper: "Jenúfa" in Stuttgart
Axel Michael Sallowsky

Als am Premierenabend der Vorhang in der Staatsoper Stuttgart nach 165 Minuten fiel, entlud sich nach anfänglichem bedrückten Schweigen die Begeisterung des Publikums zu einem orkanartigen Beifallssturm.

Dabei waren Gefühle und Erwartungen der Stuttgarter Opernfreunde vor der Premiere zunächst ein wenig belastet, nachdem der Amerikaner David Alden "aus dispositionellen Gründen" den Regiestab kurzfristig fallenließ. Für ihn sprang der katalanische Regisseur Calixto Bieito ein, der das Kunststück fertigbringen sollte, in wenigen Tagen ein eigenständiges Konzept aus dem Ärmel zu zaubern.

Und siehe da: In Zusammenarbeit mit Xavier Zuber (seit Beginn dieser Spielzeit Leitender Dramaturg in Stuttgart) gelang Señor Bieito dieses Kunststück tatsächlich. Dabei hatte Bieito (dem der Ruf eines "Skandal"-Regisseurs vorausgeht) allerdings drei starke "Verbündete" an seiner Seite: Janáceks kompositorisches Meisterwerk selbst, von Marc Piollet am Pult des Staatsorchesters ebenso subtil wie leidenschaftlich ausmusiziert, dazu ein Ensemble, das sich an diesem Abend in sängerischer und auch in darstellerischer Höchstform präsentierte. Das Resultat? Musiktheater in Vollendung.

Dabei störte es dann auch nicht sehr, daß das Duo Bieito & Zuber Zeit und Ort (Bühnenbild: Susanne Gschwender, Kostüme: Ingo Krüger nach Originalentwürfen von Gideon Davey), handlungs-psychologische Strukturen, Geist und Moral und tiefere Bedeutung dieser "Geschichte eines Martyriums" (so benennt Xavier Zuber das Wesen dieser menschlichen Tragödie im Programmheft) ebenso effektvoll wie bisweilen unnötig und auch unlogisch in eine andere Zeit transponiert hat.

Freilich dürfte sich auch an diesem Abend der eine oder andere Besucher gefragt haben, warum Publikum und Kritik immer häufiger widerstandslos hinnehmen, daß Regisseure sich an großen Komponisten und deren Opern (die schließlich absolut gültige Zeit-Dokumente sind) so ungestraft "vergreifen". Ein ewig leidiges Thema, keineswegs nur in der deutschen Musiktheater-Szene.

Sieht man großzügig von der hier völlig unnötig vorgenommenen und in kleinen Szenen lustvoll provokativ zelebrierten "Modernisierung" der Handlung ab, dann bleibt ein beeindruckendes, ja auch gigantisches Theatererlebnis zurück.

Und da sind wir schließlich bei den vorzüglichen Sänger-Darstellern, die der Garant für diesen Erfolg waren. Stellvertretend für alle anderen sei Eva-Maria Westbroek als Jenúfa namentlich erwähnt. "La Westbroek" verkörpert nicht allein die Tragödie des einzelnen leidenden Individuums - sie ist die Inkarnation der gedemütigten Kreatur Gottes in jedem Ton, in jeder kleinen und großen Gestik im Ablauf ihres düsteren Schicksals. Subtiler, wahrhaftiger und eindrucksvoller vermag modernes Musiktheater nicht zu sein.

Das Finale war ein genialer Regie-Einfall des Katalanen: Nach Kindesmord, nach Schuld und Sühne, nach Düsternis und Martyrium aller in diese Handlung verstrickten Figuren bleiben Jenúfa und Laca (Frank van Aken) lachend, immer lauter lachend auf dem Schutthaufen ihres bisherigen Lebens zurück. Doch das Prinzip Hoffnung wird sie in ihr neues Leben begleiten.

Die nächsten "Jenúta"-Vorstellungen in der Staatsoper Stuttgart, Oberer Schloßgarten 6, finden statt am 31. Januar, 4., 8., 12., 21. und 24. Februar sowie am 1. und 24. März. Tel.: 07 11 / 20 32-0, www.staatstheater.stuttgart.de/oper 


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