© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

WIRTSCHAFT
Der Wettbewerb ist eine Phrase
Jens Jessen

Angehende Betriebs- und Volkswirte befassen sich mit dem vernünftig handelnden Menschen, dem homo oeconomicus. Wenn aus den Studenten Handelnde in der realen Welt geworden sind, zweifeln sie an dem Gelernten: Die Menschen handeln nicht vernünftig, weder im ökonomischen noch im sozialen Bereich oder bei Wahlen. Der Einfluß des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) hat deshalb seit Jahren bei den jeweils Regierenden radikal abgenommen. Jahr für Jahr predigte er, daß Wettbewerb die Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland sei. Jahr für Jahr ist die Arbeitslosigkeit gestiegen.

Jetzt sinkt sie, und der SVR begreift nicht, warum. Schließlich hat der Wettbewerb im Energiesektor und in den meisten Bereichen der Industrie und der Dienstleistungen eher abgenommen. Gleichzeitig gerät das Sozialsystem immer mehr in die Schieflage. Der Jubel über die zusätzliche Beschäftigung von einer halben Million wird konterkariert von der prekären Lage des Sozialsystems. Der schöne Schein des Kapitalismus benötigt die Utopien aus der Zeit des Kalten Krieges nicht mehr, die Sicherheit, Stabilität und steigendem Lebensstandard teilweise realisierten. Die wachsende ökonomische Ungleichheit beobachten die Menschen mit Mißtrauen, die zunehmende soziale Instabilität mit Angst. Der Engländer Thomas Morus hat schon 1516 sein soziales "Utopia" dargestellt. Der reale Sozialismus hat durch seine Unfähigkeit und Grausamkeit aber jegliche Zukunftsperspektive verloren. Wer heute jedoch die Partei des Kapitals ergreift, sollte sich fragen, warum in dessen Zukunftsprojektionen so selten Menschen vorkommen, die frei sind - und glücklich.


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