© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Weltkriegskonzepte aus dem Seniorenheim
In der "demographischen Kriegführung" des Islams gegen den Westen taugen Clausewitz' Theorien nicht mehr zur Abwehr
Oliver Busch

Es ist kaum der Erwähnung wert, daß die Blätter des Springer-Konzerns für sich nicht reklamieren dürfen, zur "unabhängigen" Presse gezählt zu werden. Dafür wirkt die weltanschaulich-politische Selbstverpflichtung zur publizistischen Schützenhilfe für die USA und für Israel einfach zu restriktiv. Aber selbst gemessen an so gedeckelter redaktioneller Freiheit, die dazu führt, daß sich viele Ausgaben der Welt wie Pressemitteilungen des Pentagon lesen, fällt das in der Literarischen Welt vom 6. Januar 2007 veröffentlichte Pamphlet des vom Anti- zum Pro-Zionisten gewandelten Politologen Benny Morris erheblich aus dem Rahmen.

Unter der Überschrift "Der zweite Holocaust" verficht Morris die schlichte These, daß der Iran, getrieben von religiösen Wahnvorstellungen der Ahmadi-Nedschad-Clique, Israel in etwa zehn Jahren atomar angreifen und rückstandslos auslöschen werde. Angesichts aktueller Kräftekonstellationen scheint dieser Alarmismus, der europäischen Israel-Kritikern vorwirft, mit ihrer "Dämonisierung" des "rassistischen" jüdischen "Unterdrückerstaates" Teheraner Exterminisierungspläne ideologisch vorzubereiten, wenig mehr zu bieten als den durchschaubaren Versuch, die Jerusalemer Palästina-Politik überhaupt gegen Kritik zu immunisieren. Nach der Devise: Wer heute gegen Israels Behandlung der Palästinenser wettert, hilft mit, den atomaren Holocaust vorzubereiten.

Zusammenbruch angesichts suizidärer Geburtsraten

Als eine in der Welt übliche Ersetzung journalistischer Analyse durch politische Propaganda könnte man also Morris' wüste apokalyptische Vision in die runde Ablage befördern. Wenn sie nicht eine Pointe enthielte, die ihrem Verfasser den Anschluß an einen aufkeimenden geopolitischen Diskurs verschafft. Der militante Zionist Morris behauptet nämlich, daß die USA Israels Austilgung nicht mit einem Gegenschlag beantworten würden, weil sie bis dahin durch das irakische Debakel in einen "tiefen Isolationismus" getrieben worden seien.

Erfüllte sich diese Prophezeiung, wäre die Weltherrschaft der USA zu Ende, der Weg des Islam nach Europa frei. Damit reiht sich Morris in die immer lauter werdende "Spengler-Fraktion" angelsächsischer Politikwissenschaftler ein, für die der "Untergang des Abendlandes" inzwischen eine ausgemachte Sache ist, von denen die wenigsten aber Morris' Ansicht teilen, daß die USA mit hinab in den Orkus gezogen werden könnten.

Zu denen, die voraussagen, daß die USA im Ragnarök des 21. Jahrhunderts vielleicht wanken, am Ende aber standhalten, zählt der geostrategisch dilettierende kanadische Filmkritiker Mark Steyn. Sein zum Besteller avanciertes, noch nicht in deutscher Übersetzung vorliegendes Fresko "America Alone", auf das Hannes Stein die Welt-Leser als Nachtrag zur Morris-Lektüre neugierig macht (Ausgabe vom 10. Januar), rechnet den USA gute Chancen aus, im "Kampf der Kulturen" zu bestehen: vorausgesetzt, sie beeilten sich, die Herrschaft des iranischen Regimes beenden, jede Chance zur Destabilisierung von Machtkomplexen in der islamischen Welt zu nutzen und im übrigen militärisch zuzuschlagen, "wann immer sich die Gelegenheit ergibt". Hingegen sollten sich die Europäer einschließlich der Russen angesichts suizidärer Geburtsraten langsam mit dem Zusammenbruch ihrer Kultur abfinden: Dieser Teil der westlichen Welt werde das Ende des 21. Jahrhunderts nicht mehr erleben.

In den USA, wo man ohnehin stärker in Huntingtons Bahnen denkt als in Europa, hat sich inzwischen auch in den Köpfen des politischen Führungspersonals die fixe Idee festgesetzt, der Irak-Einsatz könnte den Einstieg in den Dritten Weltkrieg bedeuten. Jüngste Äußerungen Newt Gingrichs deuten darauf hin. Der Politologe Tony Corn fabuliert in deutschen Medien gar schon über den "Vierten Weltkrieg" (Merkur, 4/06). Aus Corns Feder stammt zudem die Forderung, für den unvermeidlich bevorstehenden Dschihad gegen den Westen nicht länger auf die veraltete Kriegsphilosophie des preußischen Generals Carl von Clausewitz zu setzen (Merkur, 12/06).

Dessen "Vom Kriege" sei endlich aus den Lehrplänen der US-Militärakademien zu streichen. Der globale Dschihad lasse sich nicht, wie unverbesserliche "Clausewitzologen" vom Schlage Colin S. Grays ("Another Bloody Century", 2005) dies suggerierten, als eine "bärtige Version der IRA" verharmlosen. In Europa könne man schon heute einen "Frontverlauf vom Balkan bis Londonistan" markieren. Was entlang dieser Linie stattfinde, sei "demographische Kriegführung", und dagegen biete Clausewitz sowenig ein Rezept wie gegen andere Varianten des "neuen Kriegs" gegen "nichtstaatliche Kräfte". Geschweige denn - nach iranischem Muster - gegen den Krieg als "Fortsetzung des Märtyrertodes mit anderen Mitteln".

Schmitt für "strategische Kommunikation" geeigneter

Nichts könne Clausewitz zur Klärung der Frage beitragen, "ob man den Iran bombardieren oder nicht bombardieren sollte"; nichts auch zur "strategischen Kommunikation", die erforderlich sein werde, um weltanschauliche Kollektivorientierungen, motivierende "Meta-Erzählungen" zu zersetzen wie jene vom ewigen "Kreuzzug" des Westens gegen den Islam; nichts zur Abwehr geoökonomischer Strategien, zum Einsatz der Öl- oder Währungswaffe.

Also weg von Clausewitz, so rät Corn, und hin zu einem Denker, der "viel gefährlicher" und mitten im Angriff auf die westliche Zivilisation auch hilfreicher sei: Man tausche den einen Carl gegen den anderen aus, Clausewitz gegen Schmitt.

Der lasse sich als "präzisionsgelenkte Waffe" zwar gegen den Liberalismus in Stellung bringen, könne aber ebensogut gegen die Feinde des Westens gewendet werden. Schließlich war es Schmitt, der Clausewitz auf den Kopf stellte, um uns daran zu erinnern, "daß es Zeiten gibt, in denen die Politik einen solchen Intensitätsgrad erreicht, daß ihre einzige realistische Definition nur lauten kann, daß Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist".

Foto: Nachwuchs der Fatah-Bewegung, Gaza 2006: "Zuschlagen, wann immer sich die Gelegenheit ergibt"


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