© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Die Aura der verführten Unschuld
Jenseits der Geniegrenze: Zum hundertsten Geburtstag der Schauspielerin Paula Wessely
Peer Schulz

Bruder Hitler" aus dem Jahr 1938 zählt zu den bekanntesten Essays Thomas Manns. Der Text, enthemmte Reaktion auf den "österreichischen Choc" des "Anschlusses", präsentiert den Reichskanzler als "trübseligen Nichtsnutz", "tristen Faulpelz" und "Dauer-Asylisten". Trotzdem ist der "Zauberer" bemüht, eine ihm freilich "reichlich peinliche" Seelenverwandtschaft zu dem "verhängnisvollen Geschöpf" aufzuspüren. Die liegt für Thomas Mann im gemeinsamen "Künstlertum", das bei Adolf Hitler allerdings nur ein "verhunztes" sei.

Wie häufig bei der Erfüllung publizistisch-polemischer "Forderungen des Tages" erweist sich der Großschriftsteller auch hier mehr als rhetorisches denn zeitanalytisches Talent. Sonst hätte von wesentlicheren Gemeinsamkeiten der beiden Wahl-Münchener die Rede sein müssen. Allen voran von ihrer obsessiven Fixierung auf Richard Wagner, von ihrer Verwurzelung in der spätromantischen Gefühlswelt des 19. Jahrhunderts. Denn ein Zufall war es wohl nicht, wenn ab 1941 im kalifornischen Exil wie im ostpreußischen Hauptquartier immer wieder die gleichen Schubert-, Strauß- und Wagner-Lieder als "Fülle des Wohllauts" genossen wurden.

Kein Wunder also, daß man sich auch in der Bewunderung für dieselbe Schauspielerin traf. Sie halte einen "Platz in der kleinen Galerie von Frauen, die mir einst, ohne es zu wissen, das Herz bewegt haben", gestand der eine 1950, während der andere sie 1939 persönlich zur "Staatsschauspielerin" ernannte und zu Empfängen bitten ließ, wenn er in der Hauptstadt der "Ostmark" weilte.

Sie bezaubert Thomas Mann wie seinen "Bruder Hitler"

Von Paula Wessely ist die Rede. Am 20. Januar 1907 in Wien als Tochter eines Fleischhauers geboren, von 1924 bis 1987 auf der Bühne, Ehefrau von Attila Hörbiger, gestorben am 11. Mai 2000. Eingegangen in die Theater- und Filmgeschichte als, wie Ulrich Weinzierl in seinem anrührenden FAZ-Nachruf schrieb, "Jahrhundertschauspielerin". Als ein "Talent an der Geniegrenze und zuweilen jenseits davon", ihre Verehrer in der Gewißheit zurücklassend: "Wir werden ihresgleichen nimmer sehen."

Ausgebildet unter anderem am legendären Max-Reinhardt-Seminar, spielte sie zunächst am Volkstheater Wien; ihren Durchbruch hatte sie 1932 als Gerhart Hauptmanns "Rose Bernd" am Deutschen Theater Berlin. Der Weltruhm kam mit dem ersten Film, "Maskerade" von 1934. Eine Regiearbeit von Willi Forst, angesiedelt im Schnitzler-Milieu des Wiener fin de siècle. Paula Wessely als unscheinbare Vorleserin Leopoldine Dur gewinnt nach den üblichen Wirrungen den Frauenschwarm Heideneck, gespielt von Adolf Wohlbrück, für sich.

Für die nächsten Filme war damit ein Rollenmuster geprägt: Armes Hascherl, verführte Unschuld, über sich selbst hinauswachsende Dulderin, hübsch allenfalls auf den zweiten Blick, besteht alle Schicksalsprüfungen und wird zum glücklichen Ende von stattlichen Partnern wie Rudolf Forster, Karl Ludwig Diehl oder Joachim Gottschalk "heimgeführt". In dieser melodramatischen Serie gelingt zuletzt in Gustav Ucickys "Ein Leben lang" (1940) an Gottschalks Seite erneut eine ähnlich intensive Darstellung wie in "Maskerade".

Ein halbes Dutzend Filme innerhalb von sechs Jahren - darauf, auf mehr nicht, gründet sich der Leinwandruhm der Wessely. Das reichte aber, um sie vor 1945 zur höchstbezahlten Schauspielerin zu machen. Und das genügte, um sie in den USA zum uneinholbaren Vorbild für Bette Davis werden zu lassen, bis heute eine der wenigen Darstellerinnen neben Katharine Hepburn oder Vivien Leigh, die in der Schar von Hollywoods Sprechpuppen als Künstlerinnen aufgefallen sind.

Keine Ideologiekritik kann ihr Geheimnis lüften

Wie diese "berückende Wirkung", wie der dem deutschsprachigen Film auch damals eher selten beschiedene internationale Erfolg Paula Wesselys zu erklären ist - das, so der wie alle anderen Nachrufer ratlose Weinzierl, sei "schwer zu sagen". Jüngere Filmhistoriker wie Maria Steiner ("Paula Wessely - Die verdrängten Jahre", Wien 1996), entschieden weniger skrupulös, haben es daher mit "Ideologiekritik" versucht. Als Frauentypus sei die Wessely im "Austrofaschismus" wie im "Großdeutschen Reich" eben die ideale Besetzung gewesen. Eine Identifikationsfigur für das weibliche Publikum, das Gegenstück zur "Glamour-Frau": natürlich, zurückhaltend und bereit zur "Unterordnung unter patriarchale Hoheit".

In der Gestalt der Wessely, gedeutet aus Claudia Preschls feministischer Sicht, sei die "Verachtung des eigenen Geschlechts und die Repräsentanz männlicher Macht vielleicht am engsten verbunden". Das eigentümliche Sprachmelos, die alternierenden Betonungen, kleine Gesten wie der schräggeneigte Kopf, signalisieren "absolute Unterwürfigkeit" und lüden zur Nachahmung ein.

Rätselhaft nur, daß - wie selbst die Preschl zumeist beifällig zitierende Steiner derartige Plattheiten relativieren muß - solche Identifikationsmuster "keine genuin nationalsozialistischen weiblichen Tugenden", sondern allgemein "weibliche Identitätsentwürfe der Vormoderne" offerierten. Was unbeabsichtigt und ex negativo zumindest erklärt, warum Paula Wesselys magische Anziehungskraft nicht auf das deutsche Publikum beschränkt blieb, warum ihre Karriere 1945 nicht endete, sondern ihr am Burgtheater noch beispiellose Triumphe vergönnt waren, und warum sie politische Antipoden wie Thomas Mann und seinen "Bruder Hitler" gleichermaßen bezauberte.

Nur in einem einzigen Fall war ihre Wirkung wahrhaft "zeitgebunden". Darin finden sich Kritiker wie Verehrer der Doyenne des Burgtheaters zu Bekundungen einhelligen Abscheus: und zwar in ihrer Rolle als Lehrerin Maria Thomas in "Heimkehr" (1941), einem "Propagandafilm", der das Schicksal der Deutschen in Polen vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs thematisiert. Neben der kurzen antijüdischen Eingangssequenz ist es die scharfe antipolnische Tendenz, die dem Film nach 1945 ein alliiertes Verbot eintrug. Unter dem von Österreichs rührigem - in der Figur der exaltierten Wessely-Hasserin Elfriede Jelinek ("Burgtheater", 1982) sogar nobelpreisgekrönten - Bewältigungsgewerbe stets aufgefrischten Makel, hier mitgespielt zu haben, litt die Wessely bis zu ihrem Tode. Gänzlich unnötig, da "Heimkehr" die unter polnischer Willkürherrschaft erlittenen Drangsale der Volksdeutschen mit künstlerischer Freiheit eher verharmlost.

Von dem marxistischer wie feministischer Ideologiekritik unzugänglichen, auch von keiner "Rezeptionsästhetik" gelüfteten Geheimnis der künstlerischen Aura, vom Charisma der Schauspielerin Paula Wessely bleibt der interessierte Cineast zu ihrem hundertsten Geburtstag übrigens unberührt. Denn die dem zeithistorischen Analphabetismus geglückte "Heimkehr"-Stigmatisierung läßt inzwischen eine nennenswerte öffentliche Erinnerung an diese Jahrhundertschauspielerin politisch unerwünscht erscheinen.

Fotos: Paula Wessely (l.) bei Außenaufnahmen in Ostpreußen zum Film "Heimkehr": Einhellige Abscheu; Paula Wessely als Leopoldine in dem Film "Maskerade" und im Gespräch mit Max Reinhardt in Salzburg: Armes Hascherl


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