© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Pankraz,
der hl. Hieronymus und die Netzwerker

Überall großen Eindruck gemacht hat der Verkauf von "StudiVZ" an den Holzbrinck-Konzern. Da sind also zwei, drei zauselige Studentlein, die - wie heute unter solchen Leuten üblich - eine Anfangs-Ahnung von Mediendesign haben. Sie erwerben vom Provider für ein paar lächerliche Euro die Lizenz zur Einrichtung eines Studentennetzwerks, wo man sich als Akademiker kostenlos ein bißchen auskäsen und miteinander kommunizieren kann. Zwei, drei Jahre vergehen. Und plötzlich kommt ein Riesenkonzern und kauft ihnen ihr Netz für circa achtzig Millionen ab. Es ist wie im Märchen.

Man halte dagegen die parallele Erfolgsgeschichte des jungen Bestsellerautors Daniel Kehlmann! Sein Roman "Die Vermessung der Welt" wurde etwa 900.000 Mal verkauft. Das Buch kostet knapp 20 Euro, macht 18 Millionen, wovon der Autor etwa zehn Prozent, 1,8 Mios, kriegt. Mit zusätzlichen Verfilmungsrechten und Übersetzungslizenzen mag er unterm Strich auf drei Millionen Euro kommen. Aber wieviel Schaffensmühe, Wissen und Bildungswitz hat er investieren müssen!

Die Verkäufer von StudiVZ dagegen haben so gut wie nichts investiert. Die Idee haben sie eingestandenermaßen von einem amerikanischen Vorbild übernommen. Nach der Installation lief die Sache wie von selbst, denn wer von den lieben Kommilitonen brabbelt und turtelt nicht gern kostenlos und mühelos im Internet? Es ist modern und en vogue. Daß man dabei zunehmend mit Werbeanzeigen aus der Reise-, Hosen- oder Parfümbranche konfrontiert wird, stört nicht. Kein Student von heute erregt sich mehr über die "Kommerzialisierung der Lebenswelt".

Trotzdem sollte man einen Augenblick beim Thema Kommerzialisierung bleiben. Einige Medienphilosophen jubeln ja permanent über den "gewaltigen Demokratisierungsschub", den das Internet uns beschert habe. Jedermann könne sich nun optimal "selbstverwirklichen", ohne dabei von übergeordneten Instanzen herausgefordert oder gegängelt zu werden. Jedermann könne beliebig Chefredakteur oder Filmregisseur spielen und via YouTube seine ureigensten Bauchtänze in alle Welt versenden. Das Internet - ein einziger Hobbykeller, wo sich endlich die "wahren Interessen" des Menschen jenseits von Politik und Kommerz entfalten.

Die Vorgänge um StudiVZ (und vergleichbare Vorgänge um andere Portale wie etwa "MySpace", wo es um noch viel höhere Kaufsummen ging) sind schon einmal geeignet, der Euphorie über "Web 2.0", wie man die angebliche Demokratisierungswelle auch nennt, gehörige Dämpfer aufzusetzen. In den Chefetagen der Medienkonzerne brütet man schon lange intensiv darüber nach, wie man Web 2.0 gründlich kommerzialisieren und in eine sprudelnde Profitquelle verwandeln könne. Der systematische Aufkauf spontan entstandener, erfolgreicher Hobby-Netzwerke ist nur ein erster Schritt.

Die Werbewirtschaft wird sich immer mehr von den Zeitungen und Zeitschriften ab- und den Netzwerken zuwenden. Und der Preis ist: Der Verbund zwischen Werbern und Werbeträgern wird in den Netzwerken so eng werden, daß für unbeeinflußte, von Product Placement freie Kommunikation und Brabbelei kein Raum mehr übrigbleibt. Den Rest besorgt die Politik mit Hilfe der berüchtigten Political Correctness. Vorbild ist da das Fernsehen, wo sich Product Placement und Political Correctness bereits als die eindeutig herrschenden Mächte etabliert haben.

Immerhin fallen beim Übergang von Web 2.0 zum politisch korrekten Kommerz, wie StudiVZ und MySpace zeigen, für einige Glückspilze viele Millionen ab. Das ist nicht zu verachten. Man kann die vielen Kreativbolzen in Berlin-Prenzlauer Berg und anderswo schon verstehen, wenn sie alle wild auf Netzwerke sind. Jeder möchte beim nächsten Aufkauf dran sein und als Millionär nach Hause gehen. Es ist wie beim Lotto: Viele spielen mit, aber nur einer zieht das große Los.

Mit Demokratie hat das nichts zu tun und noch weniger mit der Entfesselung frischer, schöpferischer Kräfte und der Erschaffung ungeahnter, nie dagewesener Kunst- und sonstiger Lebenswerke. In bezug auf Kreativität gleicht Web 2.0 eher einer Stehkneipe oder günstigstenfalls einem Kaninchenzüchterverein statt einem Erfinderlaboratorium. Wie gesagt, man käst sich dort aus und freut sich, daß man über weiteste Entfernungen hinweg mit anderen Käsern kommunizieren darf. Bedeutende Werke entstehen so aber nicht.

Große Werke bedürfen zu ihrer Entstehung einer komplizierten Dialektik von Kommunikation und Abkapselung, die das Internet gerade nicht leistet. Der wahrhaft Kreative ist viel mehr Asket als Unterhaltungskanone. Das Internet ist für ihn Datenbank und nichts sonst, eine elektronische Bibliothek. Er kommuniziert nicht um des Kommunizierens willen, sondern denkt dabei stets an die Einsamkeit seiner Studierstube oder seines Labors, in denen die Sachen und die ihnen gebührende Sprache erst wirklich fest werden können. Sein Vorbild ist der hl. Hieronymus im Gehäus.

Zum Lachen findet Pankraz die These einiger Web 2.0-Apostel, wonach dadurch, daß sich nun jeder Esel elektronisch weltweit bemerkbar machen kann, ein Springquell der Weisheit angezapft würde, "kollektiver Weisheit", wie es heißt. Wie schrieb schon Schiller: "Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen". Und diese wenigen müssen zudem ausgepuffte Profis sein, um wirklich fruchtbringend zu wirken, müssen gelernt und gelernt haben und ihr Wissen ständig blank halten.

Es ist wahrhaftig kein Verlust für die Menschheit, wenn immer mehr "unten" entstandene Netzwerke von "oben" übernommen und professionalisiert werden. Die Frage ist einzig: Wer professionalisiert? Solange Professionalisierung lediglich Kommerzialisierung und Einübung der Political Correctness bedeuten, kann natürlich nichts Vernünftiges aus den Netzwerken werden. Außer daß einige junge Leute das große Los ziehen.


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