© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Brüssel warnt vor Katastrophe
Umweltpolitik: EU-Kommission geht von schweren Folgen des Klimawandels für Europa aus / Politik versucht zu handeln
Volker Kempf

Zahlreiche Klimastudien sind 2006 erschienen. Sie prognostizierten meist die Erderwärmung und versprachen damit allesamt keine gute Zukunft. So würde Deutschland im 21. Jahrhundert unter Hitzewellen und Dürreperioden leiden. Im Sommer könnten die Höchsttemperaturen immer wieder deutlich über 40 Grad steigen. Die Wissenschaftler erwarteten daher schwerwiegende Folgen unter anderem für die Landwirtschaft.

Zahl der Hitze- und Kältetote soll dramatisch steigen

Die EU-Kommission ließ die Folgen des Klimawandels für Europa herausarbeiten. Flankierend zum "Integrierten Energie- und Klimapaket zur Emissionsminderung im 21. Jahrhundert" (siehe Seite 2) wurde das Ergebnis jetzt unter dem programmatischen Titel "Limiting Global Climate Change to 2 degrees Celsius - The way ahead for 2020 and beyond" veröffentlicht: Sollte sich das globale Klima bis zum Jahr 2071 - wie in vorangegangenen Studien auch angenommen - im Durchschnitt um 2,2 bis 3,0 Grad Celsius im Vergleich zu 1990 erwärmen, dann würde sich die Zahl der Hitze- und Kältetoten insgesamt um bis zu 36.000 beziehungsweise 86.000 Menschen erhöhen.

Nicht zu vergessen seien die indirekten Gesundheitsauswirkungen. Schon jetzt erhöht nach Expertenauffassung das milde Wetter für dieses Jahr die Gefahr einer Zeckenplage und mache die Ausbreitung des Bakteriums Vibrio vulnificus in der Nord- und Ostsee wahrscheinlich. Das könne schwere Infektionen auslösen.

Die Studie der EU-Kommission, die zu einem Strategiepaket für eine gemeinsame EU-Energie- und Klimapolitik gehört, warnt des weiteren vor den Folgen der Erderwärmung für das Tourismusgeschäft im Mittelmeerraum. Gegenwärtig reisten 100 Millionen Nordeuropäer jährlich an die Strände der europäischen Mittelmeeranrainer. Schreitet der Klimawandel weiter voran, würden sich die Reiseziele an die Nordsee verlagern und die Mittelmeeranrainer das Nachsehen haben.

Das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle würde dadurch noch deutlicher ausfallen als bisher. Die Autoren weisen des weiteren darauf hin, daß auch die Landwirtschaft im Süden der EU mit mehr Dürren rechnen müsse, während die Landwirtschaft im Norden begünstigt werde.

Kanzlerin Angela Merkel und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) haben nun erneut versprochen, der Klimakatastrophe gegensteuern zu wollen. Doch dieses Ziel wurde schon auf zahlreichen Klimakonferenzen mit wenig Erfolg anvisiert.

Schon seit Jahrzehnten haben staatstragende Persönlichkeiten den Klimawandel, der angeblich schon zu weit fortgeschritten ist, um ihn noch stoppen zu können, selbst mit verursacht. Die Personifikation dieses Widerspruches ist Angela Merkel, die je nach Machtgefüge in der Parteienlandschaft einmal die Ökosteuer bejahte, dann wieder scharf kritisierte und nun den Klimaschutz zu einem Kernanliegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft machen möchte.

Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Aktuell werden Bemühungen um Alternativenergien in Deutschland fortgeschrieben. So stellt das Bundesumweltministerium in diesem Jahr 213 Millionen Euro zur Förderung von Solarkollektoren, Biomassekesseln und Geothermie-Anlagen zur Verfügung. Mit den Mitteln aus dem Marktanreizprogramm sollen Investitionen von zwei Milliarden Euro im privaten und gewerblichen Bereich ausgelöst werden.

Andererseits interessieren in Politik und Medien vor allem Wachstumsraten aus der Volkswirtschaft, denen Klimaschutzziele nachgelagert bleiben. Unter dem Strich wird dann weniger erreicht als erhofft, so daß auch Deutschland aus Brüssel Ende letzten Jahres unter Androhung von Strafzahlungen ermahnt wurde, mehr zu tun.

Damit geht es derzeit nicht um ehrgeizige Klimaschutzziele, sondern um die Vermeidung einer wachsenden Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Darüber kann auch ein hehres Treibhausgasreduktionsziel der EU-Kommission um 20 Prozent EU-weit bis 2020 gegenüber 1990 nicht hinwegtäuschen. Diese Zielvorgabe, die hinter den Forderungen von Klimaforschern (30 Prozent) zurückbleibt, aber über die des Industriekommisars Günter Verheugen (15 Prozent) hinausgeht, soll im März 2007 verhandelt werden.

Die Studie der EU-Kommission liefert zu den Folgen des Klimawandels weder wirkliche Neuigkeiten, noch versprechen die daraufhin geäußerten politischen Folgerungen der Spitzenpolitiker mehr als eine Fortschreibung dessen, was bisher schon geschieht.

Das EU-Dokument "Limiting Global Climate Change to 2 degrees Celsius - The way ahead for 2020 and beyond" findet sich nur auf englisch im Internet: http://europa.eu/press_room/presspacks/energy/iasec8.pdf 


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