© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Komplexe Probleme auf Gut und Böse reduziert
Irak: US-Präsident Bush setzt weiter stur auf die militärische Karte / Kein diplomatisches Zugehen auf Syrien und den Iran
Günther Deschner

Jetzt hat auch die US-Regierung eingeräumt, daß ihr Irak-Abenteuer schiefgelaufen ist. Ein Versagen im Irak, hat Präsident George W. Bush vor ein paar Tagen in seiner Fernsehansprache gesagt, wäre "für die USA ein Desaster". Ungeschminkt und knallhart hat das die New York Times in ihrem Leitartikel zurechtgerückt: "Das wirkliche Desaster ist Mr. Bushs Krieg, und er hat bereits versagt." Damit ist über die Vergangenheit eigentlich alles gesagt. Aber wie sieht die Zukunft aus - nicht nur für die USA, sondern auch für die Iraker und für alle in Mitleidenschaft gezogenen Völker in der ganzen Region?

Es ist zwar leider wahr, daß Präsident Bush und die Kreise, die ihn benutzen und dirigieren konnten, das amerikanische Volk und ein paar willig-dumme Verbündete mit der Mär von den Massenvernichtungswaffen Bagdads und von einem brandgefährlichen Bündnis zwischen al-Qaida und Saddam Hussein in den Krieg hineingelogen haben. Aber dahinter gab es doch auch das ambitionierte Projekt der Bush-Administration, den Nahen und Mittleren Osten, die geo- und wirtschaftsstrategisch wichtige Region zwischen Mittelmeer und Hindukusch, nach US-amerikanischem Gusto umzugestalten - um die Freiheit und andere Grundwerte des Westens zu retten natürlich, aber doch mindestens auch, um die geostrategischen Interessen der USA und ihres militärisch-industriellen Komplexes abzusichern, zu verbessern oder gar neu aufzustellen.

Man muß Bushs Fernsehansprache deswegen ernsthaft daraufhin prüfen, welche Strategieänderung, welchen Plan B Washington jetzt vorschlägt, um das im Irak angerichtete Schlamassel so zu beenden, daß es den USA wenigstens teilweise eine Verwirklichung ihrer angeblich oder wirklich so lebenswichtigen politischen Ziele erlaubt. Zumindest möchte man etwas darüber erfahren, wie die USA ihren bislang verheerenden Einsatz im Irak mit einem Rest an Selbstachtung und einem minimalen Respekt vor den Interessen anderer Völker zu Ende bringen wollen - auf eine Weise, die sicherstellt, daß sich al-Qaidas Terroristen jetzt nicht tatsächlich auf Dauer im Zweistromland breit machen - und vor allem, daß die innerirakischen Brandherde nicht die ganze Nah-Mittelost-Region in ein Inferno verwandeln.

Was politisch und militärisch zu beachten ist, darüber haben sich in den zurückliegenden Monaten Expertengremien wie die Baker-Kommission (JF 52/06) und auch die "Granden" der US-Sicherheitspolitik Gedanken gemacht. Bushs Rede hat den Eindruck hinterlassen, daß er sich mit Expertenwissen nicht belastet hat oder ihm vielleicht intellektuell auch nicht gewachsen ist. Mit 20.000 mehr US-Soldaten (die nicht von Elite- oder wenigstens Kampftruppen kommen, sondern die zu drei Vierteln bei der US-Nationalgarde zusammengekratzt werden müssen!), mit dem stärkeren Einsatz der irakischen Armee, mit einer ganzen Milliarde US-Dollar an Hilfsgeldern und mit Appellen an Iraks Regierungschef Nuri al-Maliki, den man vor ein paar Wochen wegen Unfähigkeit noch aus dem Amt drängen wollte, soll nun die Wende herbeigeführt werden.

Schiitenkoalition um Maliki ist Partei im Bürgerkrieg

Bush setzt weiter stur auf die militärische Karte, ohne im geringsten sagen zu können, wie 150.000 US-Soldaten mehr erreichen können als die bisher eingesetzten 130.000. Dabei hatten ihm tüchtige US-Generale wie der scheidende Oberbefehlshaber John P. Abizaid und der schon 2003 geschaßte Eric K. Shinseki vorgerechnet, daß für eine rein militärische Befriedung des Irak eine halbe Million Soldaten erforderlich wären.

Bush setzt zudem auf eine irakische Regierung, die schon ausreichend bewiesen hat, daß sie nicht in der Lage ist, die Spannungen im Land zu entschärfen. Die Schiitenkoalition um Premier Maliki ist selbst Partei im laufenden Bürgerkrieg. Bushs Forderung, sie möge bitte gefälligst Muktada al-Sadr, den populärsten Schiitenpolitiker disziplinieren, der ein paar Minister in der Regierung und ein paar Dutzend Abgeordnete im Parlament hat, ist irreal und würde auch noch zu schiitisch-schiitischen Auseinandersetzungen führen, einem weiteren Bürgerkrieg im Bürgerkrieg. Wie weit muß der Realitätsverlust eines Politikers schon fortgeschritten sein, ein solches Ziel auch nur in Betracht zu ziehen!

Bushs unbeirrbare Sturheit läßt ihn auch jetzt noch an der Fixierung auf das rein Militärische festhalten. Die politischen Beurteilungen, wie sie etwa von Henry Kissinger und Zbginiew Brzezinski gekommen sind, hat Bush nicht verarbeitet. Er macht auch genau das Gegenteil dessen, was ihm die überparteiliche Baker-Hamilton-Kommission empfohlen hat. Die Kommission wollte eine diplomatische Offensive gegenüber Syrien und dem Iran. Wie die verspätete Karikatur eines entarteten Wilhelminismus hat sich Bush für das genaue Gegenteil entschieden. Er hat Iran und Syrien zum Teil des Problems erklärt und angekündigt, deren Einfluß im Irak zu vernichten - eine regelrechte Kampfansage, die manche Analytiker spekulieren läßt, ob durch Bushs Kopf nicht doch Gedanken an militärische Maßnahmen gegen den Iran spuken.

Die dieser Tage quasi kolonialherrlichen Verhaftungen iranischer Konsulatsmitarbeiter in der Kurdenmetropole Erbil (Hewlêr) unter den Augen und gegen den Willen der irakischen und der dortigen kurdischen Regionalregierung können kaum anders denn als gezielte Provokationen gegen Teheran verstanden werden. Daß Bush im selben Kontext mitgeteilt hat, er habe eine zusätzliche Flugzeugträgergruppe in die Region entsandt, signalisiert unmißverständlich, daß in seinem Verständnis die Konfrontation mit Iran und Syrien ein Bestandteil seiner "Lösung" für das Scheitern im Irak zu werden beginnt. Ob Bush damit "auf den großen Endkampf" zusteuert, wie die Welt orakelte, ist allerdings nicht gewiß.

Sollten rationale Kalküle in seinem Denken noch vorkommen, wäre seine "neue" Irak-Strategie auch als Geste gegenüber dem ungeduldigen Israel oder gegenüber den besorgten gemäßigten Sunniten-Staaten Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten denkbar. Aber wer kann das bei Politikern schon wissen, die darauf geeicht sind, komplexe Probleme auf Gut und Böse zu reduzieren.

Foto: Präsident Bush (l.) im Gespräch mit US-Soldat in Fort Benning/Georgia: Entarteter Wilhelminismus


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