© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Mittel gegen Nostalgie
DDR: Vor fünfzehn Jahren wurden die Stasi-Akten geöffnet
Ekkehard Schultz

Vor 15 Jahren beschloß der Bundestag das "Stasi-Unterlagen-Gesetz" (StUG), das die 180 Kilometer lange papierene Hinterlassenschaft der kommunistischen Diktatur in Deutschland zur persönlichen Einsicht sowie für Forschungszwecke öffnete. Aus diesem Anlaß hatte die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Marianne Birthler, am Montag zu einer Podiumsdiskussion in das Deutsche Historische Museum in Berlin eingeladen.

Birthler erinnerte daran, daß mit der Verabschiedung des Unterlagen-Gesetzes, das am 29. Dezember 1991 in Kraft trat, "zum ersten Mal in der Geschichte die Archive einer Geheimpolizei einer Diktatur der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden". Dies sei aber nur dadurch überhaupt möglich geworden, weil zahlreiche Bürger als "zivilgesellschaftlichen Akt ersten Ranges" die Dienststellen der Geheimpolizei im Dezember 1989 und Januar 1990 besetzten. Dadurch wurde der bereits in den Novembertagen 1989 angelaufenen Vernichtung der Akten ein Riegel vorgeschoben.

Am 22. Januar 1990 wurde erstmals durch die Mehrheit der Vertreter am Zentralen Runden Tisch der DDR entscheiden, nicht nur den vorgefundenen Aktenbestand zu sichern, sondern ihn auch für Zwecke der Forschung, der persönlichen Einsicht sowie der Strafverfolgung zur Verfügung zu stellen. Dies wiederum war die Grundlage, auf der die Abgeordneten der frei gewählten DDR-Volkskammer nahezu einstimmig das "Gesetz über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS" verabschiedeten.

Doch kaum war diese Regelung getroffen, machte im Zuge der Vereinigungsverhandlungen zwischen Vertretern der DDR und der Bundesrepublik die westdeutsche Regierung deutlich, daß sie auf einer restriktiveren Lösung beharren würde, erinnerte sich der erste BStU-Chef, Joachim Gauck. Große Teile der Koalition, darunter Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), beriefen sich auf das "Persönlichkeitsrecht der Betroffenen" und den "allgemeinen Datenschutz", welcher nach ihrer Auffassung im Mittelpunkt zu stehen habe.

Erst nach einem Hungerstreik von Bürgerrechtlern wurde eine Vereinbarung in den Einigungsvertrag aufgenommen, die sich an dem Gesetz vom 24. August orientierte. Auf dieser Grundlage wurde das Unterlagen-Gesetz vom 29. Dezember 1991 möglich, sagte Gauck.

PDS vollzog radikale Kehrtwende

Er erinnerte daran, daß die PDS dem Volkskammer-Gesetz vom 24. August 1990 noch zum größten Teil zugestimmt hatte, während sie unmittelbar danach "eine radikale Kehrtwende" vollzog. Seither behaupten die Vertreter der Ex-SED und ihres nahen Umfeldes immer wieder, die Öffnung der Akten des MfS hätte eine "Hexenjagd" ausgelöst und zu "innerer Zwietracht" geführt. Doch das genaue Gegenteil sei richtig, so Gauck. Der persönliche Zugang zu den Akten sei allerdings eine "Apotheke gegen Nostalgie", zugleich auch ein "eindrucksvolles Votum für die Wahrheit, gegen Vergessen, Verharmlosen und Legendenbildung".

Der Journalist Roland Jahn hob die besondere Bedeutung des Engagements der Bürger für das StUG hervor. Für ihn zeige sich darin, daß der Geist der DDR-Bürgerrechtsbewegung zumindest ansatzweise auch im vereinigten Deutschland präsent sei. Schon aus diesem Grund gelte es auch in Zukunft den Angriffen auf die Grundlagen der damaligen Regelung zu wehren, durch die heutige politische Kräfte "Täter zu Opfern" und "Opfer zu Täter" machen wollten.


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