© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Wo ist die Rechte?
Große Koalition, Linksruck in der Union - und eine konservative Opposition nicht in Sicht
Dieter Stein

Schon als die Große Koalition im Bund 2005 antrat, war vielen Beobachtern klar: Jetzt schlägt die Stunde der kleinen Parteien, und es wird vor allem die Frage nach der Integrationskraft der Volksparteien CDU und CSU auf der Tagesordnung stehen.

Große Koalitionen provozieren die Stärkung der politischen Ränder. Nur: Es gibt zwar eine breite Palette linker Parteien, die bundesweit parlamentarisch vertreten und etabliert sind - neben der SPD als Regierungspartei im Bund PDS/Linke, Bündnis 90/Die Grünen und gesellschaftspolitisch gesehen letztlich auch die FDP. Doch fehlt eine bundesweite seriöse rechte parlamentarische Alternative.

Eine solche Alternative täte aber dringend not. Die derzeitige wirtschaftliche Belebung kann die tiefgreifenden und ungelösten Probleme nicht überdecken, vor denen Deutschland steht.

- Demographischer Wandel: Durch Pillenknick, Liberalisierung der Abtreibung und Auflösung der traditionellen Familie nimmt die Zahl der Deutschen in statistisch atemberaubender Geschwindigkeit ab. Sozial- und Gesundheitssysteme stehen deshalb vor einem radikalen Schrumpfungsprozeß.

- Einwanderung: Parallel zum Geburtenrückgang wuchs die Zahl der Zugewanderten in Deutschland seit den sechziger Jahren auf über zehn Millionen. Bis zum Jahr 2050 werden die "deutschstämmigen" Deutschen in den meisten Großstädten in der Minderheit sein.

- Der solidarische Zusammenhalt der Nation gerät durch den ethnischen und demographischen Wandel aus den Fugen. Die Auflösung des Nationalstaates durch Verlagerung der meisten Kompetenzen an die EU und eine ungebremste Globalisierung beschleunigt diese Tendenz.

- Neben der ethnischen Gesichtsveränderung Europas schreitet die Revolution seines religiös-kulturellen Charakters mit Siebenmeilenstiefeln voran. Während in den europäischen Metropolen auf der einen Seite immer mehr Kirchen leerstehen oder "umgewidmet" werden, wachsen daneben die Großbauten des islamischen Glaubens aus dem Boden. Der EU-Beitritt der Türkei mit ihrem hohen Geburtenüberschuß wird dem "Christen-Club" (so der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan) den Garaus machen.

Niemand hat diese krisenhafte Entwicklung so früh und so scharf, aber auch so folgenlos vorausgesehen wie die intellektuelle Rechte. Robert Hepps "Endlösung der Deutschen Frage" (1988) sah die Flammenzeichen an der Wand. "Die Hunde bellen und die Karawane zieht weiter", war einer der beliebten Sinnsprüche des CDU-Kanzlers Kohl, der in seiner 16jährigen Amtsperiode konservative Positionen in seiner Partei ausradierte und trotz Warnungen die Weichen stellte, die in die gegenwärtige Krise führten.

Viel ist in jüngster Zeit von "neuer Bürgerlichkeit" die Rede, allenthalben sieht man eine Renaissance von Tugenden, Rückbesinnung auf Werte ... doch wo wird dies politisch wirksam? Gerade entpuppt sich die Familienpolitik der CDU-Ministerin Ursula von der Leyen mit der Protegierung des auf einen "Neuen Menschen" abzielenden "Gender Mainstreaming" als Mutantin rot-grüner Gesellschaftsveränderung (JF 3/07). Die Union präsentiert sich - erst recht in der Großen Koalition - als opportunistische verlängerte Werkbank linker Gesellschaftspolitik.

Das Ausscheiden des sächsischen Abgeordneten Henry Nitzsche aus der CDU ist ein neuerliches Zeichen für das Auslöschen des konservativen Unionsflügels. In Erinnerung ist noch, wie entwürdigend der konservative Abgeordnete Martin Hohmann 2003 hinausgedrängt wurde. Mancher sieht diese beiden Männer als Gründer einer neuen Partei. Sicher ist: Sie repräsentieren eine große und wachsende Leerstelle im deutschen Parteiensystem. Hohmann und Nitzsche erinnern an zwei CSU-Abgeordnete, die 1983 die Unionsfraktion aus Protest gegen die an den Kurs der SPD angepaßte Deutschlandpolitik der Regierung Kohl verließen: Franz Handlos und Ekkehard Voigt.

Beide gründeten noch im selben Jahr die Partei Die Republikaner. Deren Geschichte ist abschreckendes Beispiel für Nachahmer. Zunächst als nationalkonservative Partei eingeordnet, strömten ihr Tausende Mitglieder auch aus gesellschaftlich tragenden Gruppen, insbesondere der Beamtenschaft (Polizisten, Soldaten, Richter, Staatsanwälte) zu. Unter dem Druck hysterischer Medien, Antifa-Terror, aber vor allem der mit den ersten Wahlerfolgen (1989: Einzug in Berliner Abgeordnetenhaus, 7,5 Prozent, und Europaparlament, 7,1 Prozent) einsetzenden staatlichen Repression durch den Verfassungsschutz geriet die Partei in eine ähnliche Zwickmühle wie nach ihr der vom Euro-Gegner Manfred Brunner 1994 gegründete nationalliberale Bund Freier Bürger (BFB) oder die Schill-Partei.

Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland sind über hundert Versuche unternommen worden, die rechte Leerstelle im deutschen Parteienspektrum zu besetzen. Ohne medialen Resonanzboden und gegen die geballte Macht der politischen Klasse und des von ihr instrumentalisierten Verfassungsschutzes scheiterten bislang alle Ansätze für seriöse parlamentarische Alternativen. Es mangelte immer an einem gesellschaftlichen Milieu, das - vergleichbar dem die FPÖ in Österreich tragenden nationalliberalen "Dritten Lager" - ein solches Ansinnen gesellschaftlich auch gegen massive Widerstände durchsetzen würde.

Diese Lage öffnete erst den Raum für die NPD, sich als Faktor in der bundesdeutschen Politik zu etablieren. 2001 schieden die unter jahrelanger Verfassungsschutzbeobachtung personell zermürbten Republikaner aus dem baden-württembergischen Landtag aus und verlieren seitdem kontinuierlich an Bedeutung. Im gleichen Jahr aber scheiterte auch das gegen die NPD eingeleitete Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Damit war der Weg frei.

Das regionale Reüssieren der NPD, die sich weltanschaulich unumwunden in der Tradition des Dritten Reiches sieht und inzwischen personell das gesamte tatsächliche rechtsextreme Spektrum repräsentiert, ist nur erklärlich, weil zuvor diskutable rechtspopulistische Formationen unter staatlichem Repressionsdruck und eigenem Unvermögen paralysiert wurden und als Konkurrenten um Protestwähler wegfielen. Die NPD - deren Verbot 2003 übrigens nur an der hohen Dichte an Verfassungsschutzagenten in ihren Reihen scheiterte - ist damit keine Lösung der Krise des Parteiensystems, sondern nur eines ihrer markantesten Symptome und nebenbei ein staatlich optimal kontrollierter Garant dafür, daß die rechte Leerstelle im Parteienspektrum derzeit nicht zukunftsfähig besetzt wird.


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