© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/07 5. Januar 2007

Enkel auf der Suche
DVD II: "Winterkinder"
Martin Lichtmesz

Ein Bewältigungsfilm? Allen, die jetzt gequält aufstöhnen, sei gesagt, daß sich diesbezüglich nun schon seit geraumer Zeit einiges tut in Deutschland. Die Eiskruste der moralisierenden Geschichtsbetrachtung bricht langsam auf und gibt den Blick auf komplexere Bilder frei. An die Stelle der Nachgeborenen-Anklage tritt der Versuch, zu verstehen, "wie es gewesen ist".

Auf der Linken wird bereits emsig Alarm geschlagen. So versucht Dietrich Kuhlbrodt in seinem Durchhaltebuch "Nazis immer besser" die Erosion mit stereotypen Sarkasmen aufzuhalten. Einer der darin mit Hohn bedachten Filme ist Jens Schanzes Dokumentation "Winterkinder" (2005).

Die "Winterkinder", das ist die "schweigende Generation" seiner Eltern, die es nie gewagt hat, den heikelsten Teil der Familiengeschichte zur Sprache zu bringen: die NSDAP-Mitgliedschaft von Schanzes Großvater mütterlicherseits. Da dieser schon lange gestorben ist, stehen die Erinnerungen der Mutter des Regisseurs im Mittelpunkt des Films. Mit ihr unternimmt Schanze eine Reise in das niederschlesische Neurode, dem Schauplatz einer glücklichen Kindheit. War nun der seit 1933 in der Partei aktive SA-Mann und Bergbauingenieur ein "Nazi"? Was ist ein "Nazi"? Muß ein "Nazi" ein "schlechter Mensch" gewesen sein? Jenseits der Unmenschen- und Verbrecherkonnotation des Bannwortes "Nazi" gab es eine reale Person, über die der Film nun einige durchaus widersprüchliche Meinungen bringt.

Mit Schlagworten ist wenig gesagt

Jens Schanze präsentiert die Dokumente, die er über den Werdegang seines Großvaters ausfindig machen konnte, nüchtern und ohne moralischen Zeigefinger. Anders als der "68er" Malte Ludin in seinem feigen Film über seinen Vater Hanns Ludin, "Zwei oder drei Dinge, die ich von ihm weiß" (JF 17/05), geht er ergebnisoffen vor. Was herauskommt, bleibt recht banal und ermangelt der Verbrechervisage. Die eigentlich unbequeme Frage nach dem Warum des Engagements für den Nationalsozialismus bleibt unbeantwortet. Mit Schlagworten wie "Deutschtum" ist wenig gesagt.

Der Konsens zwischen Regisseur und Publikum geht leider von der Voraussetzung aus, daß alle wüßten, worum es sich hier handelt, daß es ein selbstverständliches geschichtliches Narrativ gäbe, das feststeht wie das Amen. Was wissen diese Menschen tatsächlich, die reflexartig beim Anblick eines Krematoriums in einem KZ zu heulen beginnen, wie es im Film geschieht? Die Frage des ursprünglichen Pressetextes, wodurch "die Diskrepanz zwischen dem öffentlichen und dem privaten Erinnern" entsteht, wird sich auch nicht allein mit dem gesellschaftlichen Tabu beantworten lassen - sie müßte weiter, nach seinem Cui bono gehen.

Filme wie "Winterkinder" kommen viel zu spät. Diese Geschichten hätten zu Lebzeiten der Kriegsgeneration erzählt werden müssen. Der Grabenkampf der 68er hat diese Generation endgültig zum Schweigen gebracht. Daß nun die Enkel auf ihrer Suche nach sich selbst den Großeltern die Hand reichen, zeigt eindrucksvoll dieser Film.


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