© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/07 5. Januar 2007

Trotzdem Poesie
DVD I: "Unter den Brücken"
Werner Olles

Als sich 1944 die politische Lage in Deutschland immer mehr zuspitzte, ging Helmut Käutner mit einem Kameramann und drei Schauspielern an Bord eines Spreekahns und dichtete ein zeitloses Filmidyll, eine Art Freiheitserklärung. Er filmte eine einfache Handlung ohne konstruierte Intrigen, einen Dreieckskonflikt, der sich auf einem alten Schleppkahn abspielt. Dadurch konnte er den Menschen näherkommen und das Leben der Flußnomaden, der Schiffer mit offenen Sinnen schildern. Das Resultat war einer der vollendet schönsten lyrischen Filme, die überhaupt während des Krieges geschaffen worden sind: "Unter den Brücken", gedreht wenige Monate vor der Götterdämmerung, die Deutschland in den Abgrund riß.

Käutner erzählt die Geschichte zweier junger Seeleute, die sich mühsam einen Schleppkahn zusammengespart haben, mit geradezu inniger Liebe und jugendlicher Frische. Eines Sommerabends, als sie in der Nähe einer Seebrücke vertäut liegen, sehen sie ein junges Mädchen sich weit übers Geländer beugen und einen Zehnmarkschein ins Wasser werfen. Neugierig fischen sie den Schein auf, um ihn zurückzugeben. Auf diese Weise tritt das junge Mädchen (Hannelore Schroth) in ihr Leben und macht alles kompliziert, weil sie ihr Geheimnis nicht erraten können. Als endlich herauskommt, daß sie sich ein einziges Mal hatte überreden lassen, Modell zu stehen, und dafür Geld annahm, atmen sie erleichtert auf - um so mehr, als das Mädchen die "Schande" mit dem weggeworfenen Geldschein abtun wollte. Allmählich entspinnt sich eine Liebesgeschichte zwischen den dreien, aus der Carl Raddatz als Sieger hervorgeht, während Gustav Knuth das Nachsehen hat.

Immer wieder läßt Käutner die Bilder sprechen, läßt die Wasserflächen von Sonnenreflexen glitzern und die Schiffssirenen dazu einen melancholischen Orgelchor anstimmen. Die Dämmerung einer Sommernacht mit dem zauberhaften Schein der Schiffslaternen und die wehmütigen Töne der Ziehharmonika versteht er stimmungsvoll wiederzugeben. Alle Geräusche der Nacht und des Flusses sprechen ihre eigene Sprache und verdichten die Atmosphäre: glucksende Wellen, zirpende Grillen, quakende Frösche, fernes Zuggerassel.

Käutners künstlerische Eigenart ist hier deutlich die des intimen Filmstils. Neugierig und fast aufdringlich richtet er die Kamera auf die Gesichter der Darsteller und entlockt ihnen die letzten Gedanken und Gefühle. Kein anderer Regisseur hat damals soviel Zartheit und Poesie aufgebracht, als man nicht einen Pfifferling dafür gab.

"Unter den Brücken", unprätentiös, präzise, mit Realismus und viel Atmosphäre inszeniert, ist eine an sich schlichte alltägliche Liebesgeschichte und doch viel mehr. In den letzten Tagen des "Dritten Reiches" unter primitiven Bedingungen entstanden, macht die Kamera (Igor Oberberg) aus der Not eine Tugend und läßt die karge Landschaft eine tragende Rolle spielen. Nun gibt es den Film endlich in einer restaurierten Fassung auf DVD, mit Bio- und Filmographien, einer Bildergalerie und einer einstündigen Dokumentation "Knef - die frühen Jahre" als Bonusmaterial.


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