© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/07 5. Januar 2007

Überspannte Symbolpolitik
Polen: Regierungskreise reagieren reflexhaft auf die Sammelklage der Preußischen Treuhand vor dem Europäischen Gerichtshof
Christian Rudolf

Wie noch vor dem Weihnachtsfest bekannt wurde, haben 46 polnische Abgeordnete einen Gesetzentwurf in den Sejm eingebracht, der Jesus Christus zum gekrönten Haupt Polens machen soll. Schon auf einer der nächsten Parlamentssitzungen solle über die Initiative beraten werden. Die Abgeordneten, die sowohl aus den Reihen der Regierungskoalition wie aus denen der Opposition stammen, berufen sich auf die katholische Tradition der polnischen Nation: König Johann II. Kasimir hatte vor 350 Jahren die Muttergottes zur Königin Polens ausrufen lassen. Nun sollte noch einmal draufgesattelt werden.

Jesus Christus soll König von Polen werden

Das Projekt stieß unter den katholischen Klerikern des Landes allerdings auf einhellige Ablehnung. Bischof Tadeusz Pieronek sprach gegenüber der Gazeta wyborcza von einem politischen Mißbrauch der Religion und rief die Trennung zwischen Staat und Kirche ins Gedächtnis.

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende des katholischen Radiosenders Plus, Pater Kazimierz Sowa, tadelte bei einer Diskussion im staatlichen Rundfunk die Adventsaktion der Parlamentarier als übereifrig. Der Erzbischof von Warschau, Sławoj Głódź, redete den Abgeordneten ins Gewissen, sich mit ihren eigentlichen Aufgaben zu beschäftigen. Wer sich unter ihnen religiös hervortun wolle, der solle lieber beten und Buße tun, riet der Bischof noch.

Doch überspannte Symbolpolitik für die eigene Wählerklientel bleibt das Markenzeichen der nationalchauvinistischen Regierung von Premier Jarosław Kaczyński. Erst in den letzten Tagen konnte wieder beobachtet werden, wie Warschau keine Gelegenheit ausläßt, die "höllisch wichtigen" (Gazeta wyborcza) Beziehungen zu Deutschland ohne Not zu verschlechtern.

Die private Vertriebenenorganisation Preußische Treuhand hatte Mitte Dezember beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGH) in Straßburg eine Sammelklage deutscher Vertriebener eingereicht. Bekanntlich will die Interessenvertretung mit Musterklagen ihre Forderungen nach Rückgabe ursprünglich deutschen Eigentums oder Entschädigungszahlungen durchsetzen. Das höchste europäische Gericht soll prüfen, ob die Kollektivstrafe des Vermögensentzugs gegen Deutsche Bestand haben kann.

Reflexhaft wie stets sprang die polnische Regierung darauf an. Die Angelegenheit fordere eine "blitzschnelle Aktion", sagte Kaczyński am Dienstag vor Weihnachten. Noch nicht lange EU-Mitglied, stellte der Premier bereits die Verbindlichkeit etwaiger Entscheidungen des EuGH für Polen in Frage: Es müsse eine klare Erklärung des Sejm geben, daß Polen keinerlei Urteile anerkenne, die das polnische Recht "in dieser Hinsicht" erschüttern könnten. Er warf der Bundesregierung "völlige Sturheit" vor, weil sie keine Notwendigkeit sehe, per Gesetz Ansprüche von Vertriebenen zu einer inneren Angelegenheit Deutschlands zu erklären.

Auch die Außenministerin Anna Fotyga hielt als Reaktion eine "entschlossene Aktion" Polens für geboten. Die diplomatisch noch ungelenke ehemalige Gewerkschafterin hatte in einem Radiointerview eine Neuverhandlung des deutsch-polnischen Grenzvertrages von 1990 nicht ausgeschlossen. Das offizielle Dementi erfolgte noch am selben Tage - aber die Meldung war in der Welt.

Polens Botschafter Marek Prawda wies die Klagen der Treuhand als für Polen "weder politisch noch moralisch akzeptabel" zurück. Daß die Bundesregierung erneut ihre ablehnende Haltung gegenüber den Entschädigungsforderungen bekräftigt habe, sei für die Polen "wichtig". Erst Ende Oktober hatte Kanzlerin Merkel beim Besuch des polnischen Ministerpräsidenten in Berlin sich dahingehend ausgesprochen.

Die Stimmen aus Berliner Regierungskreisen waren diesmal spürbar von Unmut über die Heftigkeit der polnischen Reaktionen geprägt. Gesine Schwan, Regierungsbeauftragte für die deutsch-polnischen Beziehungen, nannte die Klagen in der Berliner Zeitung eine "Torheit". Allerdings könne man in einer Demokratie Klagen nicht verbieten. Die polnische Regierung sollte dem Vorgehen der Preußischen Treuhand genausowenig Bedeutung beimessen wie die Bundesregierung.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), nannte die jüngsten Turbulenzen "vermeidbar", wenn man jenseits von Oder und Neiße "Vertrauen in die Rechtsprechung" hätte: "Es muß sich auch die Kaczyński-Regierung daran gewöhnen, daß die Verträge, die Vorgänger-Regierungen geschlossen haben, nach dem Grundsatz 'pacta sunt servanda' zu akzeptieren sind", sagte Polenz der Berliner Zeitung.

Treuhand-Chef Rudi Pawelka hatte die scharfe Reaktion Polens wegen der Entschädigungsklagen bereits kritisiert. Der Freien Presse sagte er, wenn "Kaczyński sicher wäre, daß die Klagen in Straßburg keine rechtliche Substanz hätten, würde er nicht so scharf reagieren". Er wisse nicht, "ob es das schlechte Gewissen ist, das dabei mitschwingt".

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Polens Präsident Lech Kaczynski: Turbulenzen


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