© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/06 01/07 22./29. Dezember 2006

Keine friedliche Weihnacht im Heiligen Land
Naher Osten: Zwischen Beirut und Bethlehem ist kein dauerhafter Friede in Sicht / Besorgter Blick auf das kommende Jahr
Christian Machek

Für einen Muslim und einen griechisch-orthodoxen Christen fand an einem Sonntag im November in der Geburtskirche von Bethlehem, einst unter dem oströmischen Kaiser Justinian (527-565) erbaut, ein Begräbnisgottesdienst statt. Die beiden jungen Männer waren ein paar Tage zuvor von israelischen Sicherheitskräften bei einer Razzia erschossen worden. Vier Wochen später schlossen in der benachbarten St. Katharinen-Kirche der 23jährige Emmanuel Tanous und seine Verlobte Rana Gedeon den Bund der Ehe. Die zwei katholischen Palästinenser werden ihre Heimatstadt in Richtung USA verlassen. Sie sind nicht die einzigen Christen, die Palästina den Rücken kehren.

Armut, Blutvergießen und Hoffnungslosigkeit

Vor Weihnachten ist die Lage in der Geburtstadt Christi traurig und deprimierend. Nur wenige Weihnachtsdekorationen sind zu sehen. Am Krippenplatz steht ein Christbaum. Es heißt, daß auch mit Rücksicht auf den Tod von Palästinenser-Präsident Jassir Arafat - der sich am 11. November zum zweiten Mal jährte -Zurückhaltung geübt worden sei.

Am 7. Dezember veröffentlichten die führenden Vertreter der christlichen Kirchen im Heiligen Land in Jerusalem eine gemeinsame Erklärung. In dieser beklagen die 13 Patriarchen, Bischöfe und Ordensleute, daß Bethlehem zu einem "großen Gefängnis" geworden ist. "Gerechtigkeit und Frieden sind derzeit noch weit entfernt." Die "gelebte Realität" ist nach wie vor geprägt von Arbeitslosigkeit, Armut, Blutvergießen, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.

Vor allem der neue israelische "Sperrwall" (JF 45/03) erschwert das Leben in Bethlehem und dem Westjordanland. Der Bau der Mauer hat den Konflikt im Heiligen Land weiter verschärft. Auch Inhabern eines israelischen Passes oder einer Identitätskarte, zu denen rund eine Million arabische Israelis zählen, ist es per Gesetz untersagt, in die besetzten Gebiete zu reisen. Seit der zweiten, im September 2000 begonnenen Intifada werden Israelis und Palästinenser systematisch voneinander getrennt, sie leben in getrennter Koexistenz.

Anfang Dezember eskalierte dann die schwelende Auseinandersetzung zwischen der im Januar abgewählten arabisch-nationalistischen Fatah-Bewegung des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und der regierenden islamistischen Hamas von Premier Ismail Haniyeh. Ob und wie lange die jetzt vereinbarte Waffenruhe hält, ist ungewiß. Ob die von Abbas beschlossenen vorgezogenen Präsidenten- und Parlamentswahlen die Situation anschärfen können, ist zu bezweifeln. Die Hamas warf Abbas einen "Staatsstreich gegen den Volkswillen" vor.

Währenddessen verschärft sich die Lage im Libanon. Am 21. November wurde der maronitisch-christliche Minister Pierre Gemayel jr. Opfer eines Mordanschlags (JF 49/06). Die Hisbollah, die aus dem Libanonkrieg im Sommer gestärkt hervorgegangen ist, pocht auf entsprechende politische Repräsentanz der schiitischen Bevölkerungsmehrheit. In dieser Situation fliegt Israels Luftwaffe regelmäßig Einsätze über den Libanon. Als Ziel der Flüge wird angegeben, Druck auf die am UN-Einsatz beteiligten Staaten auszuüben, damit diese den Waffenschmuggel wirksam verhindern. Laut Informationen der israelischen Zeitung Haaretz sei ein dritter Libanonkrieg im Sommer 2007 eine "begründete Möglichkeit". Dieser könnte sich auf Syrien, einen Verbündeten Irans, erstrecken. Laut Präsident Baschar Hafiz al-Assad bereitet sich Syrien auf einen israelischen Angriff vor.

"Ein gemeinsames Schicksal mit den Muslimen"

In dieser angespannten Situation leben die Menschen in der ganzen Region tagtäglich, und das seit Jahrzehnten. Auch in Jerusalem, wo während der Intifada die meisten Anschläge verübt wurden. "Die Konflikte sind ständig präsent, aber man hat sich daran gewöhnt", schildert der Israeli Schachar Baralofsky die Lage. Verbreitete Meinung ist, daß der letzte Krieg eine Niederlage brachte und nur einen vorläufigen Frieden. Trotz einer gestärkten Solidarisierung breiten sich in Israel Sorge und Ungewißheit aus.

Wie geht es den verbliebenen Christen im Heiligen Land? "Wir sind einsam", stellt Fadi Hindo, ein palästinensischer Christ aus Jerusalem, nüchtern fest. Die arabischen Christen sind im Heiligen Land eine Minderheit: etwa zwei Prozent in Israel und drei Prozent im Westjor-danland. In osmanischer Zeit stellten sie zwanzig Prozent der Bevölkerung.

Die etwa 120.000 Christen sind in einer Identitätskrise. Von den meisten Araber werden sie nicht ganz anerkannt, weil sie Christen sind, und für Juden sind sie Araber. Ganz Palästinenser können sie auch nicht sein, da es einen Staat Palästina nicht gibt. "Wir teilen ein gemeinsames Schicksal mit den Muslimen", erklärt Fadi, ohne das Wachsen eines islamischen Fanatismus zu verkennen. Angesichts einer blutigen Vergangenheit und einer sich vollziehenden Trennung von Juden und Arabern kommt der Steuerberater zu dem Schluß: "Der Zorn in den Menschen ist tief, und es wird schlimmer."

Ab dem 15. Dezember feiern die Juden Israels Chanukka, das Fest des ewigen Lichtes, des Makkabäeraufstandes gegen die Griechen und der Wiedereinweihung des zweiten jüdischen Tempels. Ab diesem Zeitpunkt wurde jeden Tag eine weitere Kerze des achtarmigen Leuchters entzündet.

Zur Mitternachtsmette in der Geburtskirche in Bethlehem werden sich wie jedes Jahr ein paar Christen zusammenfinden. Auch wird nach bisheriger Tradition das Führungstrio der Palästinenser anreisen, wogegen es seitens Israels keinerlei Einwände gibt. Im gemeinsamen Gebet wird dann der Geburt Jesu - des Friedensfürsten - gedacht.

Foto: Katholische Priester auf dem Krippenplatz in Bethlehem: Palästinensische Christen in Identitätskrise


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