© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/06 01/07 22./29. Dezember 2006

"Ich habe meine Ideale gerettet"
Der Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche hat die CDU verlassen - und zieht Bilanz
Marcus Schmidt / Moritz Schwarz

Herr Nitzsche, fühlen Sie sich jetzt besser?

Nitzsche: Ja, auf jeden Fall.

Sie haben gerade Ihre politische Karriere zerstört.

Nitzsche: Und meine Ideale gerettet. Ich bin froh und glücklich über meine Entscheidung, die CDU zu verlassen. Meine Nachbarn und Bekannten beglückwünschen mich zu diesem Schritt. Ich könnte mir jeden Tag einen Sekt einschenken!

Das klingt nach einem langen Leidensweg.

Nitzsche: Ich bin im Oktober 1989 gegen die SED für die Freiheit auf die Straße gegangen, war Mitglied in der Bürgerrechtsbewegung Demokratischer Aufbruch. Für mich bedeutet Freiheit auch die Freiheit des Wortes. Und ich lasse mir das von niemandem nehmen.

Die CDU hat Ihnen die Meinungsfreiheit genommen?

Nitzsche: Wir beklagen in Deutschland zu Recht, daß die Wähler in die Randparteien abdriften, weil sie sich von der bürgerlichen Mitte nicht mehr vertreten fühlen. Aber das ist für mich nicht verwunderlich. Die CDU ist keine konservative Partei mehr. Sie ist eine Partei, die den Fleischtöpfen nachrennt und jegliche Ideale über Bord wirft, um zu regieren. Wenn du aber merkst, du reitest ein totes Pferd, dann steige ab!

Seit drei Wochen tobt erneut der Streit um Ihre Person, weil Sie in einer Rede die ehemalige rot-grüne Bundesregierung als "Multikulti-Schwuchteln" bezeichnet haben. Ist es für Sie "konservativ" und "idealistisch", persönlich zu werden?

Nitzsche: Man mag mir zu Recht vorwerfen, daß ich zu überzogenen und provokanten Formulierungen neige. Aber in unserer reizüberfluteten Welt werden Politiker mit sanften Tönen doch nicht mehr wahrgenommen.

Das mag sich Jürgen Trittin auch gedacht haben, als er 2001 den damaligen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer mit einem Skinhead-Klischee belegte, um ihn als einen hirnlosen Rechtsextremisten zu verunglimpfen.

Nitzsche: Im Gegensatz zu Trittin habe ich niemanden persönlich beleidigt, sondern allgemein von Multikulti-Schwuchteln gesprochen. Ich muß und kann mich also auch bei niemandem persönlich entschuldigen.

Bringen Sie durch dieses Niveau nicht den Konservatismus in Mißkredit? Außerdem: Welchen politischen Analyse-Wert hat eine solche Schulhof-Formel eigentlich?

Nitzsche: Ich weiß, das ist eine Gratwanderung. Aber in Hölderlinscher Lyrik erreichen wir die Bürger einfach nicht. Man muß schon mal einen groben Keil setzten und sagen: "Jungs, da geht's lang!" Und das nicht nur gegenüber dem Wähler, sondern vor allem in einer Partei wie der CDU. Um nun einmal, wie von Ihnen gefordert, politisch zu analysieren: Gerade in der CDU muß man im Grunde mit der Schocktherapie operieren, denn dort darf man die Dinge längst nicht mehr beim Namen nennen. Wenn aber die Formulierung anstelle der politischen Botschaft zum Gegenstand der Diskussion wird, dann ist es mit Politik im inhaltlichen Sinne nicht mehr weit her. Sie haben mich gerade gefragt, ob mir die CDU, die Meinungsfreiheit genommen hat. Ja, das hat sie versucht! Die Partei macht Politik, die Etikettenschwindel ist, und wenn jemand wagt, sie unsanft daran zu erinnern, dann ruft man schnell: "Haltet den Dieb!"

Sie meinen, der eigentliche Grund für das Zerwürfnis ist nicht formeller, sondern inhaltlicher Art?

Nitzsche: Natürlich, im Grunde geht es darum, daß ich - unabhängig von meiner Wortwahl - nicht bereit bin, meine konservativen Positionen der politischen Opportunität zu opfern. Nehmen Sie doch das zweite Wort, das mir vorgeworfen wurde: "Schuldkult". Keine Beleidigung gegen irgendwen und trotzdem ein Skandal. Es ging gar nicht um die "Multikulti-Schwuchteln" - ich bitte Sie, guter Geschmack hin oder her, solche Hemdsärmeligkeiten sind doch in jedem Fall vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Es ging um den politischen Komment, den ich damit verletzt habe. Es ging darum, daß ich signalisiert habe, daß ich mich auf ein inhaltliches Terrain wage, das die Union längst preisgegeben hat und worüber sie peinlich schweigt. Martin Walser hat den Kult mit der Schuld schon benannt oder Hans-Olaf Henkel, sogar Joschka Fischer. Oder wie sonst als durch einen Schuldkult soll sein Prinzip "Auschwitz als Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland" funktionieren? Mit einem Wort, die Frage, die die CDU erschreckt hat, war: "Ist das alles zu rechts?"

Und, ist es das?

Nitzsche: Darum geht es gar nicht, denn meine - ehemaligen - Parteikollegen sind ja nicht wirklich peinlich berührt, sie haben nur Angst vor Nachteilen durch öffentliche Schelte. Ich habe meine Rede, für die ich übrigens schallenden Applaus bekommen habe, bereits Anfang Juni gehalten. Und als ich im Juli Michael Kretschmer, CDU-Generalsekretär in Sachsen, anrief, um ihn nach seiner Meinung zu fragen, erklärte er noch wörtlich: "Ach, das geht gerade noch so." Der gleiche Mann hat auch noch nach parteiinternen Krisensitzungen im November erklärt: "Das war populistisch, was du gesagt hast, aber ansonsten ging es." Nur drei Tage später beschimpft er mich dann aber öffentlich als eine rechtsradikale Belastung. Bei Kretschmer paßt die Saaltheorie: Vom Kreißsaal über den Hörsaal sofort in den Plenarsaal. Ohne eigener Hände Arbeit im Schweiße seines Angesichts, noch nie Geld verdient, sondern immer auf Staatskosten gelebt. Ein Chamäleon ist eine graue Maus gegen ihn! Plötzlich gibt dann auch CDU-Landeschef Georg Milbradt Interviews und erregt sich öffentlich.

Er soll angeblich die Parole ausgegeben haben: "Nitzsche ist von unten fertigzumachen."

Nitzsche: Also ein Intrige, um mich rauszumobben! Zumindest habe ich bis heute kein Dementi von ihm gehört. Ein halbes Jahr lang war den Herrschaften also alles bekannt, keinen hat es gekümmert, und niemand hat mit mir geredet. Dann plötzlich können sie sich kaum noch halten vor lauter Betroffenheitsorgien. Nein, es geht diesen Leuten nicht um Inhalte, weder in die eine noch in die andere Richtung, sondern nur um den politischen Vorteil und die Angst vorm Rudeljournalismus. Und das kotzt mich an! Ich kann es nur wiederholen: Dafür bin ich 1989 nicht auf die Straße gegangen!

Abgesehen von Ihrer persönlichen Enttäuschung, was sind die Inhalte, von denen Sie sagen, die CDU habe sie verraten?

Nitzsche: Wo soll ich anfangen? Unser Haushalt kracht zusammen, und unser Bundesinnenminister Schäuble stellt sich hin und sagt: "Die Muslime sind willkommen." Wir zahlen alleine vierzig Milliarden Euro Zinsen in diesem Haushalt und finanzieren froh und munter die Krankenkassenleistungen für türkische Einwohner mit 65 Millionen Euro pro Jahr. Wenn Angela Merkel sagt, die Türkei soll nicht der EU beitreten, dann muß sie dem Außenminister auch klare Anweisungen geben. Aber der tritt weiter für den Beitritt der Türkei ein. Ein anderes Beispiel ist die Homo-Ehe. Der Freistaat Sachsen hat damals gegen das Gesetz geklagt. Ebenso die Unions-Bundestagsfraktion unter Friedrich Merz. Jetzt steht die Homo-Ehe kurz davor, in das Grundsatzprogramm der CDU aufgenommen zu werden. Ich erinnere auch an die Berliner Beschlüsse der CDU aus dem Jahr 2000: Darin hieß es, der Asylmißbrauch müsse eingedämmt und der Klageweg für abgelehnte Asylbewerber auf eine Instanz begrenzt werden: Was ist passiert? Null, nichts! Wollen Sie, daß ich fortfahre?

Was denken Sie über die Konservativen wie Jörg Schönbohm, Peter Gauweiler oder Norbert Geis, die in der Partei bleiben?

Nitzsche: Peter Gauweiler und Norbert Geis sind Mitglieder der CSU, welche noch keine Säuberungen nach stalinistischer Manier hinter sich hat. Jörg Schönbohm hat das Ende seiner politischen Karriere festgelegt.

Ihr ehemaliger Kollege Martin Hohmann hat sogar versucht, sich in die CDU zurückzuklagen.

Nitzsche: Ich habe Martin Hohmann nach seinem Rauswurf davon abgeraten, vor Gericht zu ziehen. Aber ich respektiere seine Entscheidung. Ich habe ihn für seinen Mut, es mit allen aufzunehmen, immer bewundert. Ich fühle mich ihm auch verbunden, weil ich mich wie er als Christ betrachte. Für mich war das Christliche ausschlaggebend für den Eintritt in die CDU. Unter dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes müßte der CDU allerdings das C verboten werden. Denn laut Verbraucherschutzgesetz muß in einem Produkt auch das drin sein, was auf der Verpackung versprochen wird. Wenn ich mir den Entwurf für das neue CDU-Grundsatzprogramm ansehe, dann ist das nicht mehr der Fall: Da steht drin, die CDU ist offen für Christen, Atheisten und Andersgläubige. Ich frage mich, wie man da noch - wie es in den Statuten der Partei steht - das Leben in Deutschland nach den christlichen Sittengesetzen gestalten will? Ein Moslem oder ein Hindu kann wohl nur schwer eine christliche Politik vertreten.

Sie wollen Ihr Bundestagsmandat behalten. Sie werden also sozusagen Martin Hohmanns berühmt-berüchtigten beigestellten Stuhl im Plenum "erben".

Nitzsche: Hohmann hat dort ja demonstrativ nie Platz genommen. Ich werde allerdings dort sitzen, wenn man mir wenigstens einen Schreibtisch oder etwas ähnliches zugesteht, um nicht mit den anderen Kinoplätzen verwechselt zu werden. Und wenn sich der zeitgeistige Kurs der Union nicht ändert, wird mein Stuhl wohl nicht der letzte sein. Vielleicht werden es noch viel mehr, als wir uns heute vorstellen können. Es ist für mich durchaus von symbolischer Bedeutung, daß im Präsidium unlängst Jörg Schönbohm sinnbildlich "der Stuhl vor die Tür gestellt wurde".

Wie geht es politisch für Sie weiter?

Nitzsche: Es ist für mich selbstverständlich, mein Mandat zu behalten. Ich bin immer direkt gewählt worden, stets ohne Absicherung über eine Liste. Ich habe einen Wählerauftrag.

Werden Sie einer anderen Partei beitreten?

Nitzsche: Erstmal koste ich das Gefühl aus, parteilos zu sein. Im neuen Jahr werde ich da und dort mal schnuppern gehen.

Die NPD hat Ihnen provokativ einen Aufnahmeantrag zugeschickt.

Nitzsche: Und noch viele andere. Eine wertkonservative Organisation rechts von der CDU - aber abgegrenzt von der NPD - hat nach meiner Ansicht gute Chancen, von den Wählern angenommen zu werden.

Sie waren bis 1993 Mitglied der DSU. Kehren Sie jetzt in Ihre alte Partei zurück?

Nitzsche: Ich bin aus der DSU ausgetreten, weil diese beschlossen hatte, deutschlandweit anzutreten, und deshalb die CSU in München ihre Partnerschaft aufkündigte. Wir waren damals immer noch große Anhänger vom 1988 verstorbenen Franz-Josef Strauß: klare Worte und peng! Was die DSU angeht, will ich mich jetzt noch nicht festlegen. Ich bin mir allerdings sicher, wenn die CDU so weitermacht, gibt es genug Spielraum für eine Partei am konservativen rechten Rand.

Welche Partei könnte das sein? Werden Sie eine gründen?

Nitzsche: Für mich ist wichtig, daß starke Männer mit brennenden Herzen für Deutschland zusammenkommen. Mit Blick auf Sachsen und Deutschland bin ich optimistisch, daß mein politisches Leben auch nach der kommenden Bundestagswahl weitergeht. Ich verspreche, ich werde unbequem bleiben!

 

Henry Nitzsche. Der ehemalige Forstfacharbeiter und Diplomverwaltungswirt, geboren 1959 im sächsischen Kamenz, war 1989 Mitbegründer der in Ost-Berlin und Leipzig gegründeten Bürgerrechtsplattform Demokratischer Aufbruch. 1990 wechselte der bekennende Protestant zur Deutschen Sozialen Union (DSU), dem damaligen CSU-Partner in Sachsen, und 1993 schließlich zur CDU. 1991 wurde er Gemeindebürgermeister, 1994 Landtagsabgeordneter in Dresden, 2002 wechselte er für den Wahlkreis Kamenz- Hoyerswerda in den Bundestag.

Kontakt: Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Telefon: 030 / 22 77 07 07, Internet: www.henry-nitzsche.de 

 

Stichwort: "Henry Nitzsche": Der CDU-Politiker geriet erstmals im Herbst 2003 in die Schlagzeilen, als ihm im Zuge der Aufregung um Martin Hohmann in den Medien seine Formulierung "Eher wird einem Moslem die Hand abfaulen, als daß er CDU wählt" vorgeworfen wurde. Im Sommer 2005 sorgte dann sein Wahlkampfmotto "Arbeit, Familie, Vaterland" für Aufregung. Der Dreiklang war auch Leitspruch der französischen Vichy-Regierung während des Zweiten Weltkriegs. Ende November erhob sich ein drittes Mal ein Sturm der Entrüstung, als der Berliner Tagesspiegel Nitzsche mit den Worten "endlich vom Schuldkult runterkommen" und "Multikulti-Schwuchteln" aus einer bereits am 8. Juni im sächsischen Lieske gehaltenen Parteirede zitierte. Am Freitag vergangener Woche trat Nitzsche nach heftigen Angriffen aus den eigenen Reihen aus der CDU aus.

 

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