© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/06 01/07 22./29. Dezember 2006

Zur Freiheit berufen
Weihnachten: Für Christen bleibt die Welt immer vorläufig und vergänglich
Eberhard Straub

Fürchtet Euch nicht!" rief der Engel den Hirten zu, die vor der Klarheit des Herren erschraken, die um ihn leuchtete. Sie hob blendend und verwirrend die Nacht und alles Dunkel auf, von dem sie gemeinhin umfangen waren. Die Hirten - und mit ihnen alle Menschen - brauchten sich von nun an nicht mehr zu fürchten. Das heidnische Fatum, das unerbittliche Schicksal, dem selbst die Götter untertan waren, wurde durch die Geburt des Retters entmachtet. Der Retter ist zugleich der Befreier, denn er löste die Menschen aus allen Abhängigkeiten von Dämonen und Verstrickungen in einer vergöttlichten Natur. Christus entzauberte die Welt, entleerte sie von Götzen und Trugbildern. Ihre entheiligte Würde liegt seitdem darin, den Schauplatz abzugeben, auf dem sich das Drama der freien Menschen mit ihrem freien Gott in immer neuen und überraschenden Situationen entwickelt.

Insofern ist Weihnachten auch das Geburtsfest des zur Freiheit berufenen Menschen. Der alte Adam verwickelte sich und seine Erben in Elend und Not, weil er hoffärtig und hochmütig danach strebte, so zu sein wie Gott. Der Mensch ist das Ebenbild Gottes. Eben deshalb soll er - wie Christus, der neue Adam - nicht dem eigenen Willen folgen. In der Nachahmung Christi soll er sich vielmehr dem göttlichen Rat fügen: Dein Wille geschehe und nicht meiner. So überwindet er den alten Adam mit seinem vergeblichen Stolz, der ihn nur schuldig machte und in die Irre wies. Christus verbirgt sich bei seiner Geburt in unscheinbarer Gestalt. Er erniedrigte sich für die Menschen, die er dadurch erhöht. Verhieß er ihnen doch, ihr Bruder zu sein und ihnen dabei zu helfen, sich ihm als jeweils neuer Adam und neuer Mensch anzugleichen, sobald sie sich von den Fesseln der Sünden lösten.

Freiheit und ihr Gefährte, die Liebe, sind auch die Geschwister der Schönheit, die wiederum ein und das gleiche wie Gott ist. Die Freiheit ist göttlich und alles Göttliche daher schön und ewig. Häßlich ist die Sünde, das Unvollkommene, das Unzulängliche: alles, was der Zeit verhaftet bleibt, in der sich das Böse ereignet umstrahlt von der Sonne Satans, die mit der pompa diaboli den Menschen verführen, blenden und um seine Freiheit bringen kann.

Die Sünde lockt mit falschem, irritierenden Glanz. Wer sich betören läßt, ist deshalb nicht verworfen. Wegen der dem Menschen eingeborenen Neigung zum Bösen wirkt die göttliche Gnade werbend und überredend, um ihn zu befreien aus selbst verschuldeter Täuschung. Dadurch erweist sie sich als eine glückbringende Schuld, als felix culpa.

Das waren für die antike Welt erstaunliche, skandalöse Verkündigungen. Die Frohe Botschaft ermöglichte den Menschen, mitten in den Trostlosigkeiten der Welt als Geschichte wenigstens hoffend zu leiden. Denn wer glaubt, weiß, daß sein Erlöser lebt. Es ist jedoch sein Erlöser, nicht der Welt insgesamt. Die Frohe Botschaft wendet sich nicht an die Menschheit, sie verspricht keine Weltverbesserung oder schönere Zukunft. Sie wendet sich an Einzelne, auch wenn diese in einer Gemeinschaft der Gläubigen leben, in der Kirche, die auf die himmlische Gemeinschaft mit Gott verweist. Die ungeheure Neuigkeit besteht in dem je eigenem Gespräch der Seele mit ihrem Gott, in dem der Mensch, ganz auf sich selbst gestellt, in seiner Einsamkeit darauf wartet, Antwort von Gott auf seine Fragen zu erhalten. Seither bestätigt sich in früher unvorstellbarer Intensität, wie unerschöpflich und unsagbar das Individuum ist, unergründlich wie Gott und unendlich in seinem freien Wollen, ob zum Guten hin oder zum Bösen.

Der Eintritt Christi in die Geschichte hat die Geschichte nicht verändert oder ihr eine neue Richtung gewiesen. Eine christliche Geschichte kann es nicht geben, weil erst am Ende aller Geschichte Christus herrscht und gebietet. Seit Christus sich in diese Welt einließ, sind immerhin die letzten Tage angebrochen. Geschichtliche Zeit ist letzte Zeit, die ihrem Ende entgegeneilt. Das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt, auch wenn politische Theologen immer wieder versucht sind, von einem Sacrum Imperium zu reden, vom christlichen Staat oder heute von christlicher Demokratie. In der durch Christus entgötterten, ganz weltlich gemachten Welt gibt es auch keine christliche Geschichte. Für Christus und den Christen sind alle Reiche, Staaten und weltliche Organisationen vorläufige Gebilde, der Vergänglichkeit unterworfen, in der sie entstehen und vergehen. Der Mensch darf und soll sich darum sorgen, wie Gerechtigkeit und ein möglichst friedliches Auskommen untereinander erleichtert oder gewährleistet werden kann.

Er begibt sich aber sofort auf Irrwege, sofern er glauben machen will, die Geschichte habe einen Sinn oder ein Ziel. Für den Christen bleibt die stets tumultuöse Welt als Geschichte immer gleich unübersichtlich und ungeordnet. Es besteht keine Aussicht auf eine bessere Welt. Die Geschichte hat nur insofern eine Bedeutung, als sie die Bühne für das große Welttheater abgibt, in dem es um Macht und Gnade, Erlösung oder Sündentod geht. Seit Christus mit seiner Geburt in die Geschichte eintrat, ist die entscheidende Frage, wie der Einzelne sich gegenüber seinen radikalen Forderungen verhält, unter Umständen alles hinter sich zu werfen und nicht von der Imitatio Christi abgelenkt zu werden.

Der Herr war da, er kam nicht, um das Römische Reich zu retten und seinen Untergang aufzuhalten. Er kam, um jeden Einzelnen in die Klarheit zu führen, die es erlaubt, glaubend vernünftig zu werden und aus dem Finsteren oder Halbdunkel ins Helle zu gelangen. Hinter der Krippe verbirgt sich das Kreuz. Im Kind vereinen sich Gott, König, Richter und der entwürdigte Mensch. Mit der Auferstehung hat er zusammen mit Christus den Tod und das Böse überwunden und kann sein ganzes Leben als Auferstehung aus niederdrückenden, das wahre Leben erstickenden Nötigungen begreifen.

Seit Bethlehem, seit die Wahrheit Mensch und selber geschichtlich wurde, ist der Widerspruch unversöhnlich zwischen der Welt als Geschichte und jener Macht, an der alle Mächte dieser Welt zerbrechen. Mit Herodes, der das rettende Kind fürchtete, begann die Tragödie der Unvereinbarkeit weltlicher Macht und der Macht dessen, auf den sie sich zuweilen beruft. Die Macht des Princeps Pacis, des Friedensfürsten, dessen Reich kein Ende haben wird, wirkt in den Herzen der Einzelnen und führt sie zur Ruhe im innersten Gespräch, weil durchflutet vom neuen Licht des an Weihnachten zum Mensch gewordenen Wortes, der personifizierten Wahrheit.

 

Dr. Eberhard Straub ist Historiker und Publizist.


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