© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/06 15. Dezember 2006

Hinter den Masken
Ausstellung: Andy Warhols "Popstars" in Wien
Ekkehard Schultz

Als Auftakt zum Andy Warhol-Jahr 2007 - zum 20. Todestag des bekanntesten Pop-Art-Künstlers sind zahlreiche Werksausstellungen geplant - präsentiert die Wiener Albertina über 60 Handzeichnungen und Grafiken des Sohnes slowakischer Einwanderer, der am 6. August 1928 im amerikanischen Pittsburgh als Andrew Warhola das Licht der Welt erblickte.

Die Ausstellung "Popstars" stellt eine ganz andere, weit weniger bekannte Seite von Warhols Gesamtwerk in den Vordergrund. Der Ursprung der Zeichnungen liegt in den sechziger Jahren. Damals entstand eine große Nachfrage danach, sich persönlich von dem bereits zu Ruhm gelangten Werbegrafiker porträtieren zu lassen.

Obwohl Warhol pro Zeichnung 25.000 US-Dollar forderte, ließen sich die Wünsche kaum befriedigen. Sie stammten nicht nur aus Kreisen bekannter, arrivierter Persönlichkeiten. Allein die Fülle der Aufträge erlaubte es Warhol, auf diesem Gebiet stark zu experimentieren und dabei eine eigene, auf minimalistische und dennoch aussagekräftigere Charakteristika setzende Porträtkunst zu entwickeln.

Mit dem Aufstieg populärer Musiker wie der Beatles oder der Rolling Stones zu dieser Zeit entstand in Teilen des Millionenpublikums zudem ein großes Bedürfnis nach einer möglichst engen, persönlichen Beziehung zu ihren Idolen - welches sich auch im Wunsch nach individuellen künstlerischen Darstellungen dieser Charaktere widerspiegelte. Doch der größte Teil der meist noch jugendlichen Verehrer der Stars hatte keine Möglichkeit, im eigenen Auftrag Werke erstellen zu lassen.

Warhol, der sich zu dieser Zeit intensiv mit der Technik des Siebdrucks beschäftigte, die er zu immer größerer Professionalität entwickelte, sah darin eine große Chance. Die Porträts wurden nun von Warhol nicht mehr mit der Maßgabe gefertigt, einem Auftraggeber ein einziges "Original" zu verschaffen, sondern als Grundlage für zahlreiche Reproduktionen, die sich in ihrer Qualität von der ursprünglichen Zeichnung praktisch nicht unterscheiden sollten.

Damit beabsichtigte Warhol zum einen die Aufhebung der klassischen Grenzen zwischen Original und Abzügen (Reproduktionen) - eine von ihm als "Demokratisierung" der Kunst befürwortete Verwischung von Grenzen. Zum anderen ermöglichte er auf diesem Wege die Vermittlung seiner Kunst an zahlreiche Interessenten, die auf anderen Wegen weit schwerer erreichbar gewesen wären. Die Musikfans konnten sich nach dem Erwerb der Bildnisse nicht nur im Besitz einer Künstlerzeichnung, sondern auch eines individuell erstellten "Originals" wähnen.

Eine besondere Beziehung entwickelte Warhol zu Stones-Sänger Mick Jagger. Dabei fesselte ihn immer wieder Jaggers Androgynität, die er auf vielen Porträts bewußt herausstellte. Die schon daraus resultierende besondere Intimität der Zeichnungen steigerte den Grad ihrer Beliebtheit bei den Fans nur noch mehr.

Alle Zeichnungen Warhols in der Wiener Albertina stellen keine Porträts im klassischen Sinn dar, sondern tragen immer bewußt den Hauch einer gewollten Doppeldeutigkeit in sich. Stilistisches Vorbild der Werke, insbesondere im Hinblick auf die schmale Linienführung, ist der französische Maler Henri Matisse. Die Zeichnungen sollen einen privaten Blick auf die Menschen hinter der Maske der Stars ermöglichen und - laut Albertina-Direktor Klaus-Albrecht Schröder - dem Betrachter eine "eigenwillige, hintergründige Interpretation der Charaktere" gestatten.

Gerade in dieser Hinsicht wird man auf das Urteil des Ausstellungspublikums gespannt sein. Denn im Gegensatz zum sonstigen Werk Warhols wurde bislang in der Fachliteratur der künstlerische Wert der "Popstar"-Porträts - soweit sie überhaupt Erwähnung fanden - eher gering bewertet.

Die Ausstellung "Andy Warhol: Popstars" ist bis zum 18. Februar 2007 in der Albertina Wien, Albertinaplatz 1, täglich von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr, zu sehen. Internet: www.albertina.at. Der Katalog mit 132 Seiten kostet in der Albertina 22 Euro.

Foto: Mick Jagger (1975) und Michael Jackson (1984), gezeichnet von Andy Warhol: Jede Reproduktion ein Original


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