© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/06 15. Dezember 2006

Der Herr Assessor gerät aufs Abstellgleis
Universitäten II: Rechtswissenschaften im Umbruch / Kritik am zweiten Staatsexamen für alle zukünftigen Juristen wächst / Österreich als Vorbild
Arnold Steiner

In den vergangenen Jahren hat sich das Studium der Rechtswissenschaften durch einige Reformen stark verändert. Gewandelt haben sich sowohl der Studienverlauf, als auch die Art der Abschlüsse und deren Anforderungen. Mit der Einführung einer Zwischenprüfung in diversen standortbedingten Ausprägungen ging eine Verschulung des Studiums einher.

Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich zunächst dem "Studium generale" widmen konnte, um sich an den neuen Lebensabschnitt als Student zu gewöhnen und um sich durch das Probehören dieser oder jener Vorlesung noch für eine andere Fachrichtung zu entscheiden. Diese Umorientierung ist allerdings häufig während der ersten Semester nötig, denn nach wie vor ist Jura ein Fach, das von vielen Studienanfängern gewählt wird, weil sie nicht so genau wissen, was sie sonst studieren sollen. Dies wird auch an der hohen Abbrecherquote während der ersten Semester deutlich.

Heutzutage ist es dagegen dringend nötig, von Anfang an die geforderten Studienleistungen zu erbringen, da sonst die Exmatrikulation droht. Gerade zum Studienbeginn bleibt daher wenig Zeit sich zu orientieren und in Studentenverbindungen oder anderen Organisationen, die das studentische Leben prägen, aktiv zu werden. Diese Verschulung wirkt sich daher mittelbar auch negativ auf die Verbundenheit zur Alma mater und das gesamte Studienklima aus.

Aber nicht nur der Studienverlauf hat sich verändert, auch die Abschlüsse haben sich gewandelt. Während sich Generationen von Juristen mühevoll durch das erste und zweite juristische Staatsexamen kämpfen mußten, gibt es heute auch eine Reihe anderer Abschlüsse in dieser klassischen Disziplin.

Die wohl einschneidendste Veränderung ist die Einführung der Abschlüsse Baccalaureus und Magistra Juris infolge der Beschlüsse der EU-Bildungsminister mit dem Ziel, europaweit einheitliche Studienabschlüsse zu schaffen. Dies sollte insbesondere der Harmonisierung und Internationalisierung der europäischen Hochschullandschaft dienen.

Abzuwarten bleibt jedoch, ob die Einführung der neuen Abschlüsse zu einer Bereicherung der Universitätsabschlüsse führt oder ob durch sie das Staatsexamen langfristig abgewertet wird.

Zu beobachten ist, daß gerade im angelsächsischen Sprachraum der Baccalaureus Juris/BJur (bzw. Bachelor of Laws/LL.B) eine höhere Reputation genießt als das deutsche Staatsexamen, weil dieses dort gemeinhin unbekannt ist. Am Leistungsniveau gemessen stellt der Baccalaureus-Abschluß jedoch vielmehr eine "Billigversion für potentielle Studienabbrecher" dar, als eine Alternative zum Staatsexamen, wie eine renommierte juristische Fachzeitschrift feststellte. Um sich im In- und Ausland zu profilieren, erscheint es daher eher lohnenswert, einen LL.M.-Abschluß zu erwerben. Dieser ist im internationalen Geschäft etwa vergleichbar mit einem Doktortitel.

"Billigversion für potentielle Studienabbrecher"

Wenn man in Deutschland ernsthaft einen Reformansatz suchen würde, so wäre dieser sicher in der weiteren Ausbildung nach dem ersten Staatsexamen zu finden, worauf regelmäßig ein zweijähriges Referendariat und das zweite Staatsexamen folgen. Dieses zweite Staatsexamen führt zum Volljuristen und befähigt damit zum Richteramt. Angesichts der geringen Zahl von fünf Prozent der Absolventen, die in den Staatsdienst gehen, erscheint es jedoch unverhältnismäßig, auch allen Juristen diese lange Ausbildung abzuverlangen, die lediglich als Anwalt tätig sein wollen.

Daß diese Diskrepanz erkannt wurde zeigt sich daran, daß das erste Staatsexamen ab diesem Jahr wesentlich stärker zivilrechtlich ausgerichtet ist. Dies ist zwar ein Versuch, den Anforderungen der Praxis und des Arbeitsmarktes gerechter zu werden, ändert aber nichts daran, daß Deutschland im europäischen Vergleich die längste Juristenausbildung hat.

Als Beispiel für eine Veränderung könnten hier die Österreicher dienen. In der Nachbarrepublik wird auf eine langwierige Referendarzeit verzichtet. Ein Jurist, der sich selbständig machen will, muß dort ein neunmonatiges Gerichtspraktikum absolvieren und mindestens drei Jahre als angestellter Anwalt gearbeitet haben. Nach dem Studium kann in Österreich daher relativ schnell in eine international konkurrenzfähige Karriere gestartet werden.


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