© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/06 15. Dezember 2006

Studienordnung für die Gameboy-Generation
Universitäten I: Die Umstellungen an den deutschen Hochschulen verunsichern Studenten und Professoren / Diplomanden mit Vorteilen
Fabian Schmidt-Ahmad

Neue Verordnungen der Europäischen Kommission haben häufig die Eigenschaft, daß der normale Bürger sich ihrer Existenz erst bewußt wird, wenn sie ihre Wirkung entfalten und am eigenen Leib exekutiert werden. Dann bauen wütende Bauern brennende Barrikaden auf, Zeitungen amüsieren sich über neue Richtlinien für Feuerzeuge und man stellt wieder einmal mehr fest, daß es mit der Demokratie in der Europäischen Union doch ein wenig trübe aussieht. Derzeit wird eine neue Richtlinie umgesetzt, die noch keine große öffentliche Resonanz hervorruft. Dennoch gehört sie zu einer nicht zu unterschätzenden Maßnahme, deren Ergebnis sich erst in einigen Jahren zeigen wird.

Im Zuge des 1999 auf den Weg gebrachten Bologna-Prozesses, der eine Vereinheitlichung des europäischen Hochschulwesens anstrebt, wird augenblicklich die deutsche Universitätslandschaft vollständig umgekrempelt. Anlaß war die eigentlich harmlose Notwendigkeit, europaweit vergleichbare akademische Titel zu schaffen. Doch nicht der Titel, gleich die Lehre selbst wurde als Standard festgeschrieben. Was sich früher zwischen Zwischendiplom, erstem Studienabschluß und Promotion abspielte, ist nun einem System gewichen, durch welches Studenten Studiengänge europaweit "leichter verstehen und vergleichen" können, wie es seitens der Europäischen Kommission heißt. Offensichtlich dachte die Kommission mehr an die heranwachsende Gameboy-Generation, als an Akademiker.

Im ersten Zyklus muß der Teilnehmer 180 bis 240 Punkte für den ersten Studienabschluß, den Bachelor, sammeln. Im zweiten Zyklus - der nur für einen Bruchteil der Studenten vorgesehen ist - benötigt er 90 bis 180 Punkte, um mit dem Master abschließen zu können. Schon mit 0 Punkten kann der Teilnehmer dann den letzten Zyklus bestreiten, die Promotion. Dabei sind dies keine gewöhnlichen Punkte, sondern der in "Module" zusammengefaßte, "tatsächliche" Arbeitsaufwand des Studenten, der im "European Credit Transfer System" ("ECTS") festgelegt ist. Zwar scheiterte noch Karl Marx an der Aufgabe, alleine auch nur die physische Arbeit des Menschen metrisch bestimmen zu können, doch offensichtlich hat die Europäische Kommission mit Faktoren wie "Präsenszeit", "Vor- und Nachbereitungszeit", "Prüfungsvorbereitung" und so weiter die durchschnittliche Arbeitslast des Studenten ("work load") in eine Formel für den optimalen Studienverlauf bringen können. Inzwischen wird dieses System zur Leistungsbestimmung nicht nur von den Universitäten, sondern sogar von den einzelnen Instituten unterschiedlich eingesetzt. Notwendigerweise, um die abstrakten Forderungen einer durchschnittlichen Arbeitslast irgendwie mit den praktischen Anforderungen abzugleichen.

Firmen zweifeln Güte der Abschlüsse an

Beispielsweise wird an der Philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin zwischen Modulen mit sechs, acht und zehn Punkten unterschieden, die Soziologische Fakultät der gleichen Universität kennt dagegen nur Module mit zehn und mit fünfzehn Punkten. Eine - durchaus nicht unübliche - Kombination dieser beiden Fächer alleine wird so schon zum Abenteuer sowohl für den Studenten, als auch für die Universitätsverwaltung.

Neben der Verwaltungsbelastung ist eine Verkürzung der Studiendauer eine andere Folge. Betrug die Regelstudienzeit eines Diplomstudienganges zuvor in der Regel neun Semester, so ist heute bereits nach sechs Semestern ein Abschluß erwünscht, der für die absolute Mehrheit auch der letzte sein wird. Ein Professor der erwähnten Philosophischen Fakultät nennt dementsprechend den Bachelor einen "Durchlauferhitzer der Universitäten". Zwar würde man so mehr Studenten zum Examen bringen, doch in Verbindung mit der starken Mechanisierung des Studiums, die notwendig eine echte Vertiefung unmöglich macht, müsse man eigentlich von "diplomierten Studienabbrechern" sprechen. Es sei illusorisch anzunehmen, der Master als zweiter Studienabschluß würde dann die ausbleibende Kompetenz ausgleichen können. Denn dieser baut auf den Bachelor auf. Wer bis dahin keine Grundlagen erworben hat, wird sie hier nicht bilden können.

Eine weitere Illusion ist die Annahme, daß der Bachelor - der zwar formal einem Diplomabschluß gleichgestellt ist - die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhe. Ein Professor der Technischen Universität Berlin erläuterte, daß derzeit deutsche Diplomanden international einen klaren Vorteil haben. Denn Deutschland hat den Bachelor im Vergleich zu anderen europäischen Ländern relativ spät eingeführt. Jetzt konkurrieren Diplom-Ingenieure mit einem ominösen BA, dessen qualitative Güte von Firmen offensichtlich angezweifelt wird. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht. Denn es gab in Deutschland bereits schon den Abschluß des "Bakkalaureus": bis er Anfang des 19. Jahrhunderts durch einen synonymen Begriff verdrängt wurde - das Abitur.

Man kann sich amüsieren über die Idiotie einer Einrichtung, die einer Banane vorschreiben wollte, wie diese zu wachsen habe. Weniger amüsant ist es, wenn diese Einrichtung bestimmen möchte, wie ein Mensch lernen muß. Denn im Gegensatz zur Banane kann dieser durchaus vorschriftsmäßig gekrümmt werden. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel, wie zur Zeit an den deutschen Universitäten Studenten und Professoren, Dozenten, Verwaltungsangestellte - allesamt gebildete Leute - wie in einem Spiel, zwar laut fluchend, aber dennoch unbeirrt, die abstruseste Verwaltungsposse irgendeiner realitätsfernen Behörde durchführen. Wer aber so diszipliniert die Form seiner Lehre bestimmbar macht, der wird sich auch bald den Inhalt selbst vorgeben lassen.

Foto: Studenten in der Universitätsbibliothek Halle: Eine echte Vertiefung ist kaum noch möglich


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