© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/06 15. Dezember 2006

Kein Strategiewechsel
In der US-Irakpolitik bleibt auch nach dem Baker-Bericht alles beim Alten
Alexander Griesbach

Der Bericht der Iraqi Study Group unter der Leitung des ehemaligen US-Außenministers Baker (deshalb auch Baker-Kommission genannt), der Mitte vergangener Woche veröffentlicht wurde, wird nun seit einigen Tagen heftig diskutiert. Von einem "Strategiewechsel" im Hinblick auf das US-Engagement im Irak ist da zum Beispiel die Rede. US-Präsident Bush selbst sprach davon, die Vorschläge der Kommission "ernsthaft prüfen" zu wollen, und kündigte noch vor Jahreswechsel einen Kurswechsel in der Irak-Politik an, der aber nach Lage der Dinge keineswegs grundsätzlicher Natur sein wird.

Immerhin wird konstatiert, daß der Versuch, der chaotischen Lage im Irak allein mit militärischen Mittel zu begegnen, gescheitert sei. Es wird weiter die Befürchtung ausgesprochen, daß die Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten auf einen Kollaps der von den USA unterstützten irakischen Regierung hinauslaufen könnte. Unmißverständlich stellt der Bericht fest: "Es gibt keine militärischen Maßnahmen, die für sich genommen im Irak zum Erfolg führen können." Die Kommission plädiert dafür, das militärische Engagement der USA im Irak zu verringern und den Großteil der Kampftruppen im Laufe des Jahres 2008 abzuziehen. Im Gegenzug soll deutlich mehr in die Ausbildung von irakischen Soldaten und Militärführern investiert werden.

Abzug der Kampftruppen heißt aber keineswegs Abzug aller US-Soldaten aus dem Irak. Die Baker-Kommission läßt kein Zweifel daran aufkommen, daß die USA auch in Zukunft im Irak präsent sein werden, wenn auch mit einem deutlichen reduzierten Truppenbestand. Bezeichnend ist überdies die Begründung für die Truppenreduzierung. Diese wird nicht primär aus der Einsicht heraus empfohlen, daß trotz massiven Truppeneinsatzes keine Befriedung des Iraks gelungen ist, sondern aus der Erwartung heraus, daß "eine fortgesetzte Stationierung von US-Bodentruppen auf dem gegenwärtigen Niveau keine Reserven für andere Eventualitäten läßt". "Andere Eventualitäten" meint zum Beispiel zusätzliche Ressourcen, die für Afghanistan bereitgestellt werden müßten, wo sich die Lage analog zum Irak auch keineswegs in die Richtung entwickelt hat, die die neokonservativen Strategen der Regierung Bush erwartet haben. Aber auch im Hinblick auf den Iran oder Nordkorea könnte eine Lage entstehen, die eine schnelle Bereitstellung von Truppenkontingenten erfordere.

Hier aber hat der neue US-Verteidigungsminister Gates bereits ein deutliches Halteschild aufgestellt. Er unterstrich nicht nur, daß er der Überzeugung ist, daß die USA im Irak alles andere als auf der Siegerstraße seien, sondern betonte auch, daß er einen Militäreinsatz gegen den Iran, Syrien oder Nordkorea ablehne. Er befürchtet im Hinblick auf eine kriegerische Verwicklung mit diesen Staaten eine ähnlich unberechenbare Entwicklung wie im Irak.

Auch wenn es hier und da so kolportiert wurde, ist der Bericht der Baker-Kommission keineswegs eine Abrechnung mit der fatalen Irak-Politik der Regierung Bush und ihrer neokonservativen Einflüsterer, die in letzter Zeit mit Blick auf den Irak verdächtig ruhig geworden sind. Der von ihnen lauthals propagierte Demokratie-Transfer in arabische Staaten ("regime change") ist im Irak deutlich gescheitert. Die Baker-Kommission stellt in diesem Zusammenhang aber ausdrücklich fest, daß sie "das Ziel der US-Politik im Irak", das "vom Präsidenten erklärt wurde", teilt bzw. daß der Irak für "die regionale und selbst die weltweite Stabilität entscheidend ist und sensible US-Interessen berührt". Eine Kritik an der Begründung des Angriffskrieges gegen den Irak sucht man bezeichnenderweise vergeblich; über die vielzitierten angeblichen "Massenvernichtungswaffen" Saddam Husseins findet sich kein Wort.

Daß die Ölindustrie des Irak zu den US-Interessen gehört, daran läßt die Baker-Kommission keinen Zweifel aufkommen. Nachdrücklich wird hier gefordert, Investitionen "internationaler Energiekonzerne" zu fördern und die Ölindustrie des Iraks "neu zu gestalten". Was hier gemeint ist, liegt auf der Hand, nämlich mehr oder weniger die Privatisierung der Ölreserven zugunsten multinationaler Konzerne. Wie dies mit einer anderen Forderung der Kommission zusammengeht, nach der die USA glaubwürdig machen sollten, daß sie keine Kontrolle der irakischen Ölindustrie anstrebten, bleibt unklar. Wohl auch deshalb und wegen der von der Baker-Kommission angeregten Verknüpfung von Fortschritten im Sicherheitsbereich mit einer weiteren Unterstützung der irakischen Regierung durch die USA, hat Iraks Präsident Talabani die Empfehlungen mittlerweile in Gänze abgelehnt. Der Irak werde wie eine Kolonie und nicht wie ein souveräner Staat behandelt, monierte Talabani.

Bemerkenswert ist, daß im Baker-Report, wenn auch verhalten, die Sorge zum Ausdruck kommt, daß es zwischen der US-Bevölkerung und der US-Regierung bei einem Anhalten der Schwierigkeiten im Irak zu einer Entfremdung kommen könnte. Es wird darauf verwiesen, daß etwa zwei Drittel der US-Amerikaner mit der Kriegführung der Regierung Bush nicht einverstanden seien und etwa genauso viele meinten, es gebe keine Strategie für eine Verbesserung der Verhältnisse. Wohl auch deshalb mahnte der ehemalige Kongreßabgenordnete Lee Hamilton einen überparteilichen Konsens an und ein Ende der bisherigen Irakpolitik der Bush-Regierung, die den US-Steuerzahler bisher rund 400 Milliarden US-Dollar gekostet hat.


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