© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

"Der wilde Westen in Öl"
Ausstellung in der Schirn
Werner Olles

Wer hat als Kind nicht gern die Bücher Karl Mays gelesen und mit glühenden Wangen die aufregenden Abenteuer des großen Apatschen-Häuptlings Winnetou, seines weißen Blutsbruders Old Shatterhand und die Missetaten der Schurken um den "Ölprinz", Rattler verfolgt? Ganz ähnlich ging es einem bei James Fenimore Coopers Natty Bumppo, genannt "Lederstrumpf", und seinem edlen roten Freund Chingachcook, die gemeinsam mit dessen Sohn Uncas, dem "letzten Mohikaner", im englisch-französischen Kolonialkrieg gegen den grausamen Magua, den Häuptling der rachelüsternen Huronen, kämpften.

Oberflächlich gesehen mag man indes der Auffassung sein, daß die deutsche Amerika- und Wildwest-Begeisterung sich aus gefälligen Country-Songs von Truck Stop oder Edel-Western mit Clint Eastwood speist oder ihre eigentliche Ursache gar in der Re-Education nach 1945 zu finden ist. Zwar ist auch das alles nicht von der Hand zu weisen, doch zeigt die Ausstellung "I like America", daß die Gründe viel tiefer und vor allem länger zurückliegen. Tatsächlich breitete sich schon im 19. Jahrhundert in Europa eine Amerika-Schwärmerei aus, die mit der Indien-Euphorie eines Hermann Hesse und dem zügellosen Orientalismus vieler Philosophen vergleichbar war. Während beispielsweise Goethe sich in ein imaginäres Persien zurückzog und Schopenhauer Buddha in Deutschland bekannt machen wollte, wandten sich Chateaubriand und Lenau den Indianern zu und träumten hungernde Iren, arbeitslose Italiener und abenteuerlustige Deutsche von den grenzenlosen Möglichkeiten des maßlosen Kontinents, der mit seinem Begriff von Freiheit und seinem verfassungsmäßig garantierten Recht auf individuelles Glück ihre ganze Sehnsucht verkörperte.

Das weite Land, der Mythos der Prärie, endlose Trecks, Lagerfeuer, friedlich weidende Pferde vor Indianerzelten, die majestätische Landschaft und eine blutrot im Westen untergehende Sonne: Die Bilder von Rudolf Schlichter, Albert Bierstadt, George Catlin und Emanuel Leutze sind nicht nur ein Tribut an unsere Wildwest-Phantasien, sondern eng verknüpft mit den Erscheinungsformen eines künstlerischen Exotismus, der jenseits monströsen Kitsches auch als nostalgisch-archaisches Heimweh nach Ursprünglichem, Echtem und Romantischem gedeutet werden kann.

Die Ausstellung erinnert aber auch an weniger Romantisches wie Indianer im Zirkus, Buffalo Bills Wildwest-Schau oder den jüdischen Varieté-Star Erich Rosen-thal, der als lassowerfender Scharfschütze und Greifvogeldresseur Billy Jenkins immerhin bis zum Kriegsende unbehelligt auftreten konnte. In den fünfziger Jahren kam er dann noch einmal als Groschenheft-Held zu neuen Ehren.

Die Ausstellung in der Schirn, Römerberg, ist bis zum 7. Januar 2007 täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, Mi./Do. bis 22 Uhr, zu sehen. Der Katalog (Prestel Verlag) kostet 29,80 Euro.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen