© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

Zeitschriftenkritik: Psychologie heute
Das Leben als Projekt
Werner Olles

Die im 33. Jahrgang monatlich erscheinende Zeitschrift Psychologie Heute beschäftigt sich in ihrer Dezember-Ausgabe schwerpunktmäßig mit der Problematik von Trennungen. In einer Zeit, in der jede dritte Ehe geschieden wird - in Großstädten inzwischen jede zweite -, ist dieses Thema längst auf der Tagesordnung. Die Scheidungsstatistiken lassen allerdings nicht erahnen, welch ungeheure Dramen, die eines Strindbergs würdig wären, sich zuvor oft abspielen. Während aber besonders junge Ehepaare viel zu schnell das Handtuch schmeißen, obwohl durchaus noch gute Chancen für eine gedeihliche Zweisamkeit bestanden hätten, verharren ältere bisweilen aus den unterschiedlichsten psychischen Gründen in wahren "Ehehöllen" und können sich weder zu einer Trennung noch zu einer grundlegenden Veränderung des beiderseitigen Verhältnisses zueinander durchringen, ganz zu schweigen von einem Neuanfang.

In seinem Editorial spricht Chefredakteur Heiko Ernst daher von "seelischen Fesseln" und von unendlich vielen Arten, zu zweit unglücklich zu sein und doch nicht voneinander loszukommen. Allerdings sei in vielen Fällen die "Trennungsunfähigkeit" auch ein deutliches Zeichen dafür, daß ein Paar vielleicht doch zusammengehört, aber noch lernen muß, mit seinen Problemen anders umzugehen. Zumindest das hört sich dann wieder recht tröstlich an.

Ist für die Generation dreißig das Leben tatsächlich ein Projekt? Zwar sollen die Dreißigjährigen demnächst in Deutschland Führungspositionen bekleiden, doch ihre Zukunft müssen sie unter gesellschaftlichen Bedingungen planen, unter denen im Prinzip nichts mehr planbar ist. So hangeln sie sich von Praktikum zu Praktikum, und statt einer soliden und einigermaßen einträglichen Festanstellung pendeln sie zwischen Freiberuflerdasein und Arbeitslosigkeit, haben - wenn überhaupt - höchstens einen Lebensabschnittspartner, aber keine Nachwuchspläne, weil ihre meistgestellte Frage lautet: "Was hab' ich davon?" Selbstlosigkeit im Dienst einer Gemeinschaft liegt ihnen fern, haben Soziologen herausgefunden. Die "Generation Praktikum" gilt schon lange als unpolitisch und egozentriert, pflegt schwierige Selbstbeziehungen und wird von dem Bedürfnis beherrscht, sich selbst gerecht zu werden. Der entscheidende Maßstab lautet schlicht "Ichangemessenheit". Man möchte sich von sich selbst "immer mal wieder überraschen lassen".

Wenn das mal gutgeht. Sehnsüchte, Überzeugungen, Traditionen, Kampfinstinkte, Haltungen, Verpflichtungen, all dies scheint den "Ichlingen" abhanden gekommen zu sein, wenn sie es denn je besessen haben. Dem saturierten Deutschland der späten siebziger Jahre entsprungen, hat man es sich im Zeitalter der Beliebigkeit und des Hedonismus in der Spaßgesellschaft bequem gemacht. Chronische Bindungsängste und das Wegbrechen der wichtigsten Identifikationsmöglichkeiten Nation und Religion taten schließlich ein übriges und machten diesen Zustand perfekt.

Anschrift: Beltz Medien Service. Postfach 10 05 65, 69445 Weinheim. Der Einzelpreis beträgt 5,10 Euro. Internet: www.psychologie-heute.de 


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