© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

Die Made am Führerkadaver
Feigheit und Fliegenmut: Hans Haacke sonnt sich gerne in der Aura der Traditionen, gegen die er agitiert
Thorsten Hinz

Der Installationskünstler Hans Haacke, 1936 in Köln geboren, pflegt die Pose des Robin Hood, doch in Wahrheit drückt er nur aus, was im Medien-, Kultur- und inzwischen auch im Politikbetrieb marktgängig ist. Spätestens mit seiner Installation "Der Bevölkerung", die das "möglicherweise nationalistische Potential" der Inschrift "Dem deutschen Volke" im Giebel des Reichstags konterkarieren soll und mit Zustimmung des Hohen Hauses im Jahr 2000 im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes plaziert wurde, hat er den Ritterschlag zum Staatskünstler erhalten. Zur Zeit ist an der Glasfassade der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin die Installation "Weil sie nicht deutsch aussahen" zu besichtigen, gewidmet den neueren Opfern des ewig rassistischen Deutschland.

Die tieferen Wurzeln der Haacke-Ästhetik liegen in der Agitations- bzw. der Agitprop-Kunst der 1920er Jahre. Damals stellten kommunistische Künstler sich in den Dienst operativer politischer Interessen. Der Dramatiker Friedrich Wolf verfaßte dazu das Manifest "Kunst ist Waffe", in dem er Sergej Eisensteins "Panzerkreuzer Potjemkin" als beispielhaft hervorhob. In der Tat beweist dieser 1925 in Moskau uraufgeführte Film, daß Kunst unter Umständen eine politische Waffe sein kann, doch darin erschöpft sie sich nicht. Andernfalls handelt es sich eben nicht um Kunst, sondern um verbrämten Tagesjournalismus. Der "Potjemkin" ist eine Parabel über jedwedes Unterdrückungssystem und die Auflehnung dagegen. Was von Wolf einseitig als Affirmation des revolutionären Rußland propagiert wurde, wandte sich zugleich gegen die kommunistische Unfreiheit. Dank Eisensteins Genie kann sein Werk bis heute auch ohne Kenntnis seiner konkreten historischen Bezüge verstanden werden.

Doch Haacke ist kein Eisenstein. Sogar die linksalternative taz räumt anläßlich zweier aktueller Ausstellungen in Berlin und Hamburg ein, daß viele Werke nur noch "wie Beispiele für pädagogische Formfindungen angesichts politischer Ohnmacht (wirken). Sie funktionieren nicht mehr als politische Provokation". Im Klartext: Sie sind kalter Kaffee!

Statt der Aura gedeiht heute die Kulturindustrie

Kunstphilosophischen Nektar saugen die modernen Agitpropler aus Walter Benjamins 1936 erschienenem Aufsatz "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit". Benjamin meinte, daß der elitäre Charakter des Kunstwerks überwunden werden müsse. Dieser beruhe auf seiner Einzigartigkeit, der "Aura".

Historisch sei das Werk zunächst eingebettet gewesen in ein kultisch-religiöses Ritual, das in der Renaissance die Form des profanen Schönheitsdienstes angenommen habe. Schließlich sei unter dem Eindruck der Technik und der Reproduzierbarkeit, welche die Aura in Frage stellten, der l'art pour l'art und die Idee einer reinen Kunst hervorgegangen, die aller sozialen und politischen Verpflichtungen entkleidet ist.

Der Endpunkt dieser Entwicklung sei der Faschismus, der - Benjamin bezog sich offenbar auf die Riefenstahl-Filme - die Massen zum kriegerischen Ornament formiere, die damit ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß erlebten. Dieser Ästhetisierung der Politik müsse mit der Politisierung der Kunst begegnet werden.

Die Möglichkeit dazu werde mit der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks und dem Aura-Verlust eröffnet, weil das Werk sich "zum ersten Mal in der Weltgeschicht von seinem parasitären Dasein am Ritual" emanzipiere. "In dem Augenblick aber, da der Maßstab der Echtheit an der Kunstproduktion versagt, hat sich auch die soziale Funktion der Kunst umgewälzt. An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual tritt ihre Fundierung auf eine andere Praxis: nämlich ihre Fundierung auf die Politik." Der ästhetische schlägt um in einen politischen und sozialen Befreiungsakt.

Ein Gedankengang von bestechender Folgerichtigkeit, den die Praxis jedoch widerlegt hat. Der Verlust der Aura hat nicht in die Demokratisierung der Hochkultur gemündet, sondern in die Vorherrschaft der Kulturindustrie, in der Künstler Glieder von Verwertungsketten, die Ästhetiken des Widerstands vereinnahmt und neue Formen der Manipulation sind. Auch Hans Haacke, der gegen den kapitalistischen Warenfetischismus wie gegen den Faschismus wettert, hat hier seinen Platz gefunden, als Kuponabschneider des Nationalsozialismus. Seine "Bevölkerung"-Installation funktioniert allein vor dem Hintergrund von dessen düsterer Faszination. Der Künstler Haacke ist sozusagen eine Made am Führerkadaver, der deshalb auch niemals zur letzten Ruhe gebettet werden darf. Doch damit allein wäre er erst ein links-engagiertes Gegenstück zum ZDF-Journalisten Guido Knopp und könnte keinen Künstlerstatus begründen.

"Irgendwie muß ich meinen Ärger abreagieren"

Haacke nassauert daher noch in einem zweiten Bereich und partizipiert an den Nachklängen der deutschen Kunstreligion. Von seinem Impetus her ein Möchtegern-Zerstörer aller Institutionen und Traditionen mit "möglicherweise nationalistischem Potential", sonnt er sich doch gern in deren Aura. In einem Interview mit der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit hat er kürzlich den schlichten Antrieb seines Schaffens offenbart ("Es gibt viele Dinge, die mir stinken. Irgendwie muß ich meinen Ärger abreagieren.") und begründet, warum er als antibürgerlicher Revoluzzer trotzdem Wert auf Museumsausstellungen legt. Die Museen seien nun mal ein "Forum unvergleichlicher Ausstrahlungskraft", seine "Arbeit profitiert vom symbolischen Kapital der Institution, von ihrem Sozialprestige".

An dieser Antwort verblüfft weniger die Chuzpe als vielmehr die Offenheit, mit der Haacke bekennt, daß seine Projekte ihre Bedeutung nicht in sich selber tragen, sondern erst durch den Rahmen erhalten, in den sie gestellt werden, durch Prestigetransfers also. Der aber geht allein auf politische Entschlüsse zurück! Die "Bevölkerung"-Installation ist künstlerisch läppisch und hätte niemanden aufgeregt, wenn nicht eine gleichgesinnte Parlamentsmehrheit Haacke die Tür zum Reichstag geöffnet hätte (die JF berichtete mehrfach). Die Provokation dieser Installation liegt nicht in der ästhetischen Innovation, sondern in der politischen Belehrung - verhunzter Agitprop eben. Der historische Agitprop war auf seine Weise mitunter originell, während Haacke lediglich eine psychologische Kriegführung gegen das eigene Land fortsetzt.

Für Haacke, der seit 40 Jahren in New York lebt, mag auch bestimmend gewesen sein, daß sich der amerikanische Kunstmarkt für deutsche Gegenwartskünstler erst allmählich zu öffnen begann, "nachdem die Bild-Zeitung im Juni 1967 den militärischen Erfolg von Moshe Dayan im Sechs-Tage-Krieg mit dem von Rommel verglich und ihn sogar als unseren Rommel feierte", wie es im Katalog zu der Ausstellung "Deutschlandbilder" von 1997/98 heißt. Die deutsche Vergangenheitsbewältigung wurde seither auch international ein lukrativer Geschäftszweig.

An die wichtigste Frage wagt sich Haacke nicht heran

Zum Verständnis von Haacke ist eine weitere aktuelle Selbstaussage aufschlußreich: "Das Verhältnis zum Islam erscheint mir so komplex und explosiv, daß ich mich da nicht heranwage." An der wichtigsten, wahrhaft säkularen Frage, der sich Deutschland, Europa, der gesamte Westen gegenübersehen, scheitert Haacke nicht nur intellektuell, er ist auch zu feige, sie überhaupt an sich heranzulassen. Bequemer und anspruchsloser ist es, permanent den faschistischen Beimengungen im deutschen Wesen nachzuspüren. Dazu braucht es bloß soviel Mut, wie man benötigt, um einer Fliege die Flügel auszureißen. Zwischen Fliegenmut und Feigheit besteht ein Zusammenhang.

Indem Haacke & Co. (gerade wurde im Berliner Gropius-Bau eine Retrospektive der inkontinenten Kunstblutsschleuder Hermann Nitsch eröffnet, die vom Bundeskanzleramt unterstützt wird!) antideutsche Propaganda verinnerlichten und fortspannen, machten sie zwar Karriere, verloren aber die Satisfaktionsfähigkeit gegenüber den echten Herausforderungen und Gegnern. In dieser moralisch, geistig, ästhetisch, auch politisch minderwertigen Position bleibt als Möglichkeit, ein Ethos der Macht auszuleben, und zur diabolischen Selbsterbauung nur noch die Vernichtung des Wehrlosen. In diesem Fall ist es das eigene, besiegte Land, auf das man eintritt: völlig risikolos, denn Gegenwehr hält man sich durch politische Verbote vom Leibe.

Dieses pathologische Ineinander von In- und Externalisierung des deutschen Schuldkults bildet eine Grundstruktur von Haackes Werk. Der deutsche Staat hat es längst als repräsentativ und subventionswürdig akzeptiert.

Werke von Hans Haacke sind derzeit in den Deichtorhallen Hamburg (bis 4. Februar 2007) und in der Berliner Akademie der Künste (bis 14. Januar 2007) ausgestellt.

Fotos: Hans Haacke, "Der Bevölkerung" (Detailansicht), Installation im Innenhof des Reichstages: Eisensteins Genie geht ihm ab; Blick in die Ausstellung von Hans Haacke in den Deichtorhallen Hamburg: Kunst erschöpft sich nicht in ihrer Funktion als "Waffe"


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