© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

"Avantgardisten der Gesellschaft"
Grußwort von Elisabeth Noelle
Thomas Petersen

Frau Elisabeth Noelle hat mich gebeten, Ihnen herzliche Grüße auszurichten und ihren herzlichen Dank für die Ehrung, die im Namen eines Mannes verliehen wird, den sie stets bewundert und als Freund empfunden hat. Sie bittet Sie, den Umstand, daß sie den Preis nicht persönlich entgegennimmt, nicht als Unhöflichkeit aufzufassen. Sie hat sich auf Anraten ihres Arztes entschieden, sich die Reise nach Berlin jetzt nicht zuzumuten.

Mit um so größerer Herzlichkeit, so sagte sie mir, denkt sie an Gerhard Löwenthal zurück, dessen Bild in der Öffentlichkeit bis heute von der Feindschaft weiter Teile der veröffentlichten Meinung geprägt ist, die er sich durch seine Standfestigkeit zuzog. (...) Diese Standfestigkeit führte dazu, daß das Bild Löwenthals selbst bei denen, die ihm wohlgesonnen sind, verzerrt erscheint: Seinen Gegnern erschien er als starrsinnig, seinen Freunden als prinzipienfest. Dahinter verschwindet, daß Löwenthal ein außerordentlich kreativer und origineller Mensch gewesen ist.

Dies zeigt vielleicht das folgende Beispiel: Im Bundestagswahlkampf 1969 konnte das Institut für Demoskopie Allensbach dank des Engagements des ZDF (mit Unterstützung Löwenthals) die erste Panel-Wähler-umfrage der deutschen Geschichte verwirklichen. Panel-Umfrage bedeutet: Dieselben Personen werden in regelmäßigen Abständen wiederholt befragt. Auf diese Weise ließ sich zum ersten Mal verläßlich der Entscheidungsprozeß der Wähler nachvollziehen. (...)

Gerhard Löwenthal gehörte zu einer Sorte von Menschen, die Elisabeth Noelle-Neumann besonders bewundert. Nicht einer unter zehntausend, schrieb schon im 17. Jahrhundert der englische Philosoph John Locke, ist so stark, daß er die fortgesetzte Mißachtung der Menschen um sich herum ertragen könnte. Löwenthal gehörte zu den ganz wenigen Menschen, die diese Situation nicht nur erlebt, sondern auch ertragen haben, ohne dadurch - zumindest öffentlich sichtbar - schwankend zu werden. Die wenigen, die diese Kraft aufbringen, sind die wahren Avantgardisten der Gesellschaft. Nur sie haben die Kraft, dem gegen sie gerichteten Zeitgeist zu widerstehen und ihn gegebenenfalls sogar zu ändern. Deswegen weiß ich sicher, daß Elisabeth Noelle-Neumann sich sehr geehrt fühlt, einen Preis entgegennehmen zu können, der den Namen dieses großen Journalisten trägt.

Foto: Musikalische Begleitung: Schon zum dritten Mal umrahmte das Ashkenazy-Quartett die Preisverleihung feierlich mit klassischer Musik. Auf dem Programm standen diesmal Corellis Concerto Grosso und Rossinis Streichquartett Nr. 1 sowie die Nationalhymne.


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