© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

Mit dem Teleskopschlagstock gegen Rechts
Linksextremismus: Revisionsantrag nach mildem Urteil im Prozeß um Überfall auf ein Potsdamer Café / "Rote Hilfe" unterstützt Angeklagte
Ekkehard Schultz

Ende November fällte das Potsdamer Landgericht nach 20 Verhandlungstagen das Urteil gegen vier Angeklagte der linksextremen Szene der Havelstadt, die beschuldigt wurden, im Sommer 2005 in der Nähe des Potsdamer Cafés Heider einen vermeintlichen Rechtsextremisten auf offener Straße angegriffen und schwer verletzt zu haben (JF 28/05). Hintergrund der Tat sind langjährige Auseinandersetzungen zwischen den beiden politisch unterschiedlich orientierten Gruppen; der konkrete Anlaß soll ein wenige Tage zuvor erfolgter Überfall von Rechtsradikalen auf ein alternatives Jugendzentrum gewesen sein.

Die 23 Jahre alte Hauptangeklagte Julia S., die im Jahr 2005 zunächst wegen Verdachts auf "versuchten Mord" mehrere Monate in Untersuchungshaft verbracht hatte, wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Obwohl sie einen schweren Teleskopschlagstock als Waffe gebrauchte, konnte nicht nachgewiesen werden, daß sie dieses Objekt bewußt zu diesem Zweck mit sich geführt und geplant eingesetzt hatte.

Der 22jährige Patrick B. erhielt ebenfalls wegen schwerer Körperverletzung sechs Monate auf Bewährung. Gegen den 22 Jahre alten Arend L. und den 21jährigen Robert D. sprach das Gericht wegen gefährlicher Körperverletzung Verwarnungen aus. Gegen eine fünfte Angeklagte war das Verfahren kurz vor dem Ende des Prozesses eingestellt worden, da ihr keine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen werden konnte. Das Gericht hatte die Öffentlichkeit bereits am zweiten Prozeßtag von der Verhandlung ausgeschlossen, da diese Angeklagte erst 16 Jahre alt ist.

Verhaftung führte zu Solidarisierung

Da dieses Urteil im schroffen Gegensatz zu den Strafen steht, die vor wenigen Monaten wegen des vorherigen Überfalls auf das Jugendzentrum - und der dabei ebenfalls begangenen schweren Körperverletzungen - gegen die angeklagten Rechtsextremisten verhängt wurden (die Hauptangeklagten erhielten fünf Jahre Haft ohne Bewährung), hat die Potsdamer Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Revision dieses Richterspruches gestellt. Zumindest Julia S. und Patrick B. hätten ebenfalls eine Haftstrafe ohne Bewährung erhalten müssen, so die Staatsanwaltschaft.

Auf der anderen Seite haben aber auch die Verteidiger der vier Verurteilten - obwohl innerhalb der linksextremen Szene überwiegend von einem "sehr milden Urteil" gesprochen wurde - im Auftrag ihrer Klienten eine Revision des Urteils gefordert. Nun muß der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs urteilen, ob die Entscheidung des Landgerichts zu beanstanden ist.

Die Verhaftung von Julia S. im Sommer 2005 hatte umgehend zu einem großen Solidarisierungseffekt innerhalb der linken und linksextremen Szene in ganz Deutschland geführt. Federführend für die Koordination von Protestkundgebungen in Potsdam und Brandenburg war die Rote Hilfe e.V., die seit vielen Jahren vom Verfassungsschutz vieler Bundesländer beobachtet wird. Die Rote Hilfe lehnt kategorisch jede Zusammenarbeit mit Polizei und Gerichten ab, da diese "Repressionsorgane des bürgerlichen Staates" seien und zudem jeder Linke in politischen Delikten politische Unterstützung verdiene - "unabhängig von der zur Last gelegten Tat" und ihrer Schwere.

Innerhalb der linksextremen Szene haben sich jedoch nach der Verkündigung des aktuellen Urteils auch zahlreiche Beobachter zu Wort gemeldet, die das Verhalten der Angeklagten scharf kritisieren.

An der Schuld zweifelt kaum jemand

Julia S. und ihre Gefährten hätten - so der Tenor - weniger auf ihre Verdienste in der Jugendarbeit verweisen sollen, als vielmehr das Gericht als Bühne für eine politische Auseinandersetzung mit "dem System" nutzen müssen.

So kommentiert etwa eine "florena" auf der linksextremistischen Internetplattform indymedia: "Mit einer Strategie, die der Intention folgt, sympathische Menschen vorzustellen, aber das Politische aus der Situation wegzudenken, läßt sich kein politischer Prozeß führen. Wenn das Ganze dann auch noch darin gipfelt, der Gesellschaft quasi recht zu geben, daß Gewalt gegen andere nicht in Ordnung ist und Mensch nur noch um die Höhe der Strafe feilscht, dann ist einiges nicht mehr so recht in Ordnung mit dieser Linken, die in den Prozeß als Beteiligte oder Unterstützerin verwickelt gewesen ist." Zudem wird die Tat pauschal beschönigt und gerechtfertigt: "Der Staat war (im Sommer 2005) entweder nicht willens, aber in jedem Fall nicht in der Lage, die Neonazis von der Straße fernzuhalten ... Daß einige den Mut fanden, trotz der sicher empfundenen Angst Stop zu sagen und zu handeln, anstatt der Ohnmacht der Staatsmacht zuzuschauen, ist diesen Menschen hoch anzurechnen."

Ähnliche Stimmen waren bereits wenige Stunden nach dem Bekanntwerden des Überfalls zu lesen gewesen. Während eine Abgrenzung von der Tat innerhalb der Szene nur in einigen Ausnahmefällen erfolgte, wurde in zahlreichen Internetbeiträgen moniert, daß sich die Angeklagten bei ihrer Tat beobachten ließen und von Passanten bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten werden konnten. So formulierte etwa eine "Claudia R.", "wenn man den Faschos eine aufs Maul haut", dürfe man doch nicht "so blöd sein", "sich vorher nicht bereits einen guten Fluchtweg zu sichern". An der Schuld der Verhafteten zweifelte auch in den engsten Unterstützerkreisen kaum jemand.


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