© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/06 24. November 2006

BRIEF AUS BRÜSSEL
Europas Vielfalt bewahren
Andreas Mölzer

Im Rahmen der EU-Erweiterung wird ab 2007 der aus Kronstadt (Braşov/Brassó) stammende Leonard Orban den Posten eines EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit antreten. Kritiker meinen, Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso habe einen "Verlegenheitsjob" geschaffen und brüskiere den Rumänen durch die angebliche Bedeutungslosigkeit des Ressorts.

Richtig verstanden, ist der Aufgabenbereich für Europa jedoch von besonderer Bedeutung. Er darf nicht auf das Erlernen von Fremdsprachen verkürzt werden. Mehrsprachigkeit umfaßt vor allem Bewahrung der historisch gewachsenen sprachlichen Vielfalt Europas und zählt deshalb zu den Hauptmerkmalen der Identität des Kontinents. Entlarvend ist das Argument der Kritiker, ein EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit sei eine Geldverschwendung.

Weil die Bewahrung der sprachlichen und damit kulturellen Vielfalt Europas kein Wert ist, darf sie auch nichts kosten. Dabei gibt es in der EU genügend Einsparungspotential: die Heranführungshilfen für die Türkei, die Förderungen für internationale Großkonzerne oder auch die riesigen Agrarsubventionen für Großgrundbesitzer wie die britische Queen.

Kleinere Sprachen sehen sich heute wegen der Globalisierung der Gefahr gegenüber, an den Rand gedrängt zu werden. Auch Sprachen wie Finnisch, Slowenisch, Gälisch oder Maltesisch sollen und müssen auch in Zukunft einen hohen Stellenwert haben. Dies nicht, weil sie den Mitarbeitern des EU-Übersetzungsdienstes die Arbeit sichern, sondern weil sie die Träger der jeweiligen ethnischen Identität und damit auch ein Teil Europas sind. Keinesfalls darf es dazu kommen, daß zwischen der Algarve und dem Baltikum die kleineren Sprachen Europas neben dem schon heute dominierenden Englischen ein Schattendasein führen. Eine lingua franca, die in immer mehr Bereiche des täglichen Lebens eindringt, würde auf längere Sicht auch die verschiedenen Mentalitäten der europäischen Völker verändern und in letzter Konsequenz wohl zum Entstehen eines einheitlichen homo europaeicus führen.

In besonderem Maße gefährdet sind heute die Sprachen mancher autochthoner Volksgruppen in Europa und damit auch diese selbst. Der Grund dafür liegt im Fehlen eines einheitlichen EU-Volksgruppenrechts. Während die Republik Österreich und das Land Kärnten die slowenische Volksgruppe auf vorbildhafte Weise fördern, kennt beispielsweise Frankreich offiziell keine Minderheiten. Bretonisch, Elsässisch oder Korsisch werden bloß als "regionale Dialekte" bezeichnet. Und Slowenien verweigert bis heute seiner deutschen Restminderheit selbst die grundlegendsten Rechte.

Aufgrund der höchst unterschiedlichen nationalen Rechtslagen, die von der vorbildhaften Volksgruppenförderung bis zur Leugnung autochthoner ethnischer Minderheiten reichen, ist es daher an der Zeit, endlich ein europäisches Volksgruppenrecht auszuarbeiten. Würde Brüssel den künftigen EU-Kommissar Orban mit dieser Aufgabe betrauen, bedeutete dies einerseits die Aufwertung seines Ressorts. Andererseits könnte dadurch die EU beweisen, daß für sie die Wahrung des "Reichtums ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt", die laut der EU-Verfassung zu ihren Zielen zählt, mehr ist als ein bloßes Lippenbekenntnis.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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